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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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Reiz. Ich befehle Euch, sicherzustellen, daß der Große
Theriak allen, die mir lieb und wert sind, verabreicht wird.«
    In diesem wichtigen Augenblick in Hais Leben tauchte wie eine
Fackel, die ihn leiten sollte, ein tief verwurzelter Instinkt auf, ein
kostbares Erbe seines Vaters, wie er später glauben würde.
    »Die Korbflasche, die ich aus der Palastapotheke in Córdoba
mitgebracht habe, enthält den gesamten Vorrat an Großem Theriak, der im
Augenblick vorhanden ist. Die Menge für eine Person entspricht der
Größe einer Nuß. Ich überlasse es Euch, o Herrscher der Gläubigen,
erhabener Herr unseres ruhmreichen Kalifates, in Eurer großen Weisheit
zu entscheiden, wer dieses Mittel erhalten soll.«
    Hai stellte die kostbare Flasche auf den goldenen Tisch neben
dem Kalifen ab, erhob sich und bat um die Erlaubnis, sich zurückziehen
zu dürfen. Er mußte fort sein, ehe der armselige Hisham begriff, welche
Verantwortung nun auf ihm lastete.

35
    D ie Landschaft zwischen der Stadtmauer und
den nördlichen Bergen glich einem trunkenen Ameisenhaufen, als sich Hai
Córdoba näherte. Kolonnen von verzweifelten Menschen, denen das Gerücht
von der Seuche zu Ohren gekommen war, ehe man die Stadttore verschloß,
rannten hin und her auf der Suche nach einer Unterkunft außerhalb der
Stadt für die Zeit, bis die Gefahr der Ansteckung vorüber war. Zu ihnen
gesellten sich noch die Menschenscharen, die täglich in die Stadt
drängten, um dort ihre Geschäfte abzuwickeln: An diesem Morgen hatten
sie die großen Tore verschlossen und verriegelt vorgefunden. Während
Hai das Bild betrachtete, das sich ihm bot, tobten in ihm
widerstreitende Gefühle. Einerseits war er erleichtert, daß man
rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen ergriffen hatte, daß also die
Paläste wahrscheinlich von Ansteckung verschont bleiben würden.
Andererseits war er zutiefst enttäuscht, daß man ihm den Zutritt zur
Stadt verwehrte und er also seinen Kollegen im Hospital nicht zur Seite
stehen konnte, wenn sie die Leiden der Pestopfer zu lindern versuchten.
    Er hielt sich nicht lange in seinem kleinen Landhaus auf.
Nachdem er sich versichert hatte, daß Sari wohlauf war, nahm er die
Menge Großen Theriak, die Dalitha bereitet hatte, füllte, einem
plötzlichen Impuls folgend, ein wenig aus der Korbflasche ab und
galoppierte dann zur Medina Azahira, um dort Abd al-Malik, dem ältesten
Sohn des Regenten, das Gegenmittel auszuhändigen. Wie auch beim Kalifen
überließ er dem Erben al-Mansurs selbst die Wahl, wem das Mittel
verabreicht werden sollte. Es war früher Abend, als er endlich nach
Hause zurückkehrte. Mit Dalithas Hilfe bereitete er den Theriak aus
vier Zutaten, und nachdem er noch einmal nach Sari geschaut hatte,
legte er sich erschöpft zu Bett und fiel augenblicklich in einen
tiefen, traumlosen Schlaf.
    Einige Stunden später rüttelte ihn Dalitha wach. »Ich glaube,
es ist jemand an der Tür«, sagte sie.
    Sofort war Hai munter und lauschte aufmerksam. Kein Zweifel:
in der Stille der Nacht war deutlich ein schwaches, unregelmäßiges
Klopfen zu vernehmen. Hai rannte zur Tür, und als er sie öffnete, fiel
ein benommener, fiebernder alter Mann ihm wie betrunken in die Arme.
Hai legte ihn auf den Diwan in seinem Arbeitszimmer, leuchtete ihm mit
einer Kerze ins Gesicht und erkannte Yahya, den Diener aus dem Haus der
Familie in Córdoba. Er hielt dem alten Mann eine Tasse Wasser an die
zitternden Lippen und untersuchte dann seine Leisten und Achselhöhlen
nach den gefürchteten Pestbeulen. Bisher waren noch keine zu sehen. Es
gab noch eine Chance … Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern,
eilte er ins Apothekenzimmer, auf dessen weiße Wände der Mond verzerrte
Schatten der runden Tiegel und langhalsigen Flaschen zeichnete. Mit
ruhiger Hand maß er eine Dosis von dem Großen Theriak ab, den er aus
der Flasche für al-Mansurs Sohn abgefüllt hatte, kehrte ins
Arbeitszimmer zurück und flößte dem fröstelnden alten Mann das
Gegenmittel zusammen mit einem Becher Wein ein.
    »Versuche, den Trank bei dir zu behalten«, drängte ihn Hai
sanft. »Versuche, ihn bei dir zu behalten.« Wie durch ein Wunder
erbrach sich Yahya nicht. Hai wachte den Rest der Nacht neben ihm,
befeuchtete ihm die trockenen, aufgesprungenen Lippen mit einem nassen
Baumwolltupfer, kühlte ihm die heiße Stirn, murmelte ermutigende Worte,
überzeugt, daß der Alte überleben würde. Im Morgengrauen gab er Yahya,
ehe er mit dem Gegenmittel aus vier Zutaten in die Paläste

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