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Die Zypressen von Cordoba

Die Zypressen von Cordoba

Titel: Die Zypressen von Cordoba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yael Guiladi
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im
Morgengrauen gepflanzt, damit es mit Hai zusammen aufwachse. Solange er
noch klein ist, wollen wir seine Körpergröße daran messen, und wenn er
herangewachsen ist, wollen wir beobachten, wie der Baum an Kraft und
Größe gewinnt und wie unser Sohn zu den Höhen großer Errungenschaften,
zu Würde und Stolz aufsteigt. Dies hier«, fuhr er fort und wandte sich
seiner Frau zu, während er aus dem Ärmel seines Festgewandes einen
kleinen Samtbeutel hervorzog, »dies hier ist für dich.« Er hob zärtlich
ihre Hand und ließ eine goldene Kette hineingleiten, an der, aus
Smaragden in goldener Fassung, ein Ebenbild des kleinen Schößlings hing.
    »Wie ähnlich dir das sieht«, lächelte ihn Sari sanft an,
»immer ein elegant gedrechselter Satz, eine kunstvolle höfische Geste.«
    »Weder Worte noch Gesten reichen aus, um dir meine unendliche
Freude mitzuteilen. Wie viele Menschen genießen zu Lebzeiten das
Glück – was sie auch immer dafür bezahlen –, all ihre
ehrgeizigen Wünsche erfüllt zu sehen?«
    »Ein ernüchternder Gedanke, der uns mit Bescheidenheit
erfüllen sollte«, murmelte Sari, als sie in Gedanken zu den ersten
Erinnerungen ihres Lebens zurückkehrte, zu der primitiven Gewalt, den
niedrigen Instinkten, der Furcht und dem Schrecken, dem Schmerz, der
Häßlichkeit, dem Elend, der Einsamkeit – den einzigen
Weggefährten ihrer unglückseligen Kinderzeit. Sie konnte nicht wie
Da'ud sagen, daß alle ehrgeizigen Wünsche ihres Lebens erfüllt waren.
Ehe er sie gerettet hatte, war ihr gar nicht bewußt gewesen, daß das
Leben überhaupt irgend etwas Erstrebenswertes bieten konnte. Ihr
einziger glühender Wunsch war allein die Flucht gewesen, obwohl sie
nicht wußte, wohin sie fliehen sollte. Wären da nicht der radanitische
Kaufmann und dann Da'ud selbst gewesen, sie hätte vielleicht nie
erfahren, daß das Leben auch etwas anderes sein konnte als die
Schrecken, die sie durchlitten hatte. Mehr noch, daß die Liebe, ein
Gefühl, das sie weder empfangen noch gegeben hatte, tierische Lust zu
höchster menschlicher Ekstase wandeln konnte.
    Oh, welche Ekstase! Wie leicht und zart er sie berührt hatte,
wie zärtlich er sie liebkost, mit seinen Händen das leiseste Beben der
in ihr erwachenden Lust erspürt hatte. Mit diesen sicheren, liebenden
Händen, die sie langsam auf den Pfaden ihres Verlangens emporführten,
bis sie aus eigener Kraft mit ihm zu den schwindelerregenden Gipfeln
der Leidenschaft aufstieg. In den Monaten nach der Geburt Amiras hatten
sie sich ihrer Liebe hingegeben. Ihre Sinne, ihre Körper, ihrer beider
Wesen verschmolzen zu einem einzigen lebendigen Ganzen, in das sich
beide versenkten, einer vom anderen durchdrungen. Und wenn sie getrennt
waren, sehnte sich einer nach der Berührung, nach dem Anblick des
anderen, harrte ungeduldig auf das nächste Verschmelzen. Wie groß war
die Gefahr gewesen, daß sie ihr Leben in Unkenntnis dieses höchsten
Geschenks verbracht hätte, der vollkommenen Liebe eines Menschenwesens
zu einem anderen, und der Wonne ihrer Erfüllung in der Erschaffung
eines neuen Menschen – einer gottähnlichen Handlung. Wie
vielen anderen, die wie sie in ein elendes Leben hineingeboren waren,
war es denn vergönnt, eine so wundersame Wandlung ihres Geschicks zu
erfahren? Dieses Wissen um die Unwägbarkeiten des menschlichen
Schicksals – warum ausgerechnet sie, warum nicht eine
andere? – zwang sie zur Bescheidenheit.
    Wenn sie jetzt ihren Ehemann betrachtete, durchströmte sie ein
überwältigendes Gefühl der Freiheit. Nun empfand sie nicht mehr die
Schuld, ihm Enttäuschung und Unglück gebracht zu haben. Jetzt, da sie
ihm freizügig gewährt hatte, was er geduldig erwartete, wonach er sich
so schmerzlich verzehrte, was er aber nie erzwungen hatte, jetzt, da
sie so viel gegeben wie gewonnen hatte, fühlte sie sich ihm ebenbürtig
in der Partnerschaft ihrer Liebe, frei und gleich, so daß sie ihm ihre
innersten Gedanken enthüllen konnte.
    »Warum warst du während meiner Schwangerschaft so ruhig, so
beinahe unnatürlich gelassen, und als Djamila ihr Kind Amira erwartete,
so übermäßig besorgt?«
    »Diese Frage habe ich mir in all den Monaten immer wieder
selbst gestellt«, erwiderte Da'ud. »Ich hätte eigentlich ebenso von
Ängsten geplagt werden müssen, nicht nur, weil sich vielleicht während
deiner Schwangerschaft oder bei der Geburt ein nicht
wiedergutzumachender Schaden, den man dir in deiner Kindheit zugefügt
hatte, furchtbar hätte auswirken

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