Die Zypressen von Cordoba
ihrem Mann, als könne sie ihn
durch bloße Willensanstrengung zwingen, sie zu bemerken, aber es half
alles nichts. Amira, die kleinen Füße fest gegen die Brust ihrer Mutter
gestemmt, konnte sich mit einem letzten Aufbäumen befreien. Mit einem
Angstschrei fiel sie zu Boden, das Gesicht vor Wut und Schrecken schon
blau angelaufen. Schockiertes Schweigen senkte sich über die Menge, man
wechselte erstaunte und über diesen skandalösen Zwischenfall entrüstete
Blicke. Ein schüchterner junger Mann, dem Amira zu Füßen gefallen war,
hob das Kind auf, gab es seiner Mutter zurück und geleitete die beiden
mit unerwarteter Freundlichkeit ins Innere des Hauses zurück. Im
gleichen Augenblick reichte Da'ud, der die unerhörte Szene ignorierte,
den kleinen Hai, dessen Schluchzen man mit einem Tropfen Wein auf die
Lippen gelindert hatte, in die Obhut seiner Mutter zurück.
So wurde nun Hai sanft an der Brust seiner Mutter gewiegt, und
auch Amira lag sicher und geborgen in den Armen Djamilas, die Ordnung
war wieder hergestellt. Das Fest konnte beginnen. Die Musikanten
spielten ihre Weisen, deren Rhythmen in die herannahende Nacht
hinausdrangen. Dichter deklamierten elegante Verse, perfekt gereimte
und fein formulierte überschäumende Lobpreisungen auf ihren Gastgeber
und Mäzen. Roter Wein ergoß sich schäumend aus goldenen und silbernen
Karaffen in edle Kelche. Die letzten Gäste verabschiedeten sich erst,
als der Gesang der Vögel sie daran erinnerte, daß die Morgendämmerung
nahte. Dieses Fest sollten alle Anwesenden noch viele Jahre in
Erinnerung behalten, jeder aus seinem eigenen, ganz besonderen Grund.
19
A m nächsten Morgen kam Rabbi Samuel vor
seiner Rückreise nach Lucena noch einmal zu Da'ud, um von seinem
ehemaligen Schüler Abschied zu nehmen. In der Gegenwart seines alten
Lehrers schien sich Da'ud wieder in den glänzenden, doch gehorsamen
Schüler zu verwandeln, all seine Größe abzulegen. Traurigkeit
überschattete das Gespräch. Beide Männer wußten, daß sie einander im
Leben wohl nie mehr wiedersehen würden. Sie erinnerten sich an die
Vergangenheit und besprachen die Zukunft, und Da'ud ging so weit, seine
Sorge über die vielen verschiedenen Pflichten zum Ausdruck zu bringen,
die ihm al-Hakam auferlegte und die ihm nicht alle behagten.
»Wie ehrenvoll die Aufgaben auch sein mögen, die du zu
erfüllen berufen wirst, vergiß niemals deine Verpflichtungen gegenüber
deinen jüdischen Brüdern«, warnte ihn Rabbi Samuel, und der ernste Ton
verlieh seiner zittrigen Stimme Festigkeit. »Deine Stellung bei Hofe
gibt dir nicht nur die Macht, sie zu beschützen, sie verleiht dir auch
die moralische Autorität eines Richters und Schlichters.«
»Es ist weder meine Absicht noch mein Wunsch, diese
Verpflichtungen zu vernachlässigen«, antwortete Da'ud bescheiden. »Im
Gegenteil, ich suche schon eine Weile nach einem jungen Mann, der mir
in diesen Angelegenheiten behilflich sein könnte. Es fehlt nicht an
möglichen Kandidaten, aber die Wahl ist heikel. Wenn ich dem Sohn einer
hervorragenden Familie meine Gunst zeige, ziehe ich mir unweigerlich
die Feindseligkeit aller anderen zu. Unter gar keinen Umständen möchte
ich die Einheit und Stärke unserer Gemeinde von Córdoba aufs Spiel
setzen.«
»Dann mußt du jenseits der Stadtgrenzen suchen. Wir haben in
unseren Akademien von Lucena viele begabte Studenten«, erwiderte Rabbi
Samuel nachdenklich und strich sich über die feinen Strähnen seines
dünnen weißen Barts. »Der junge Mann, der mich begleitet hat, könnte
eine solche Aufgabe hervorragend erfüllen. Er ist ein wenig schüchtern
und genau wie du hochintelligent, zugleich diskret. Da er aus einer
bescheidenen Bauernfamilie stammt, würde er sich über die Bezahlung
freuen und dir sicher gern dienen. Vielleicht möchtest du mit ihm
reden, ehe wir uns auf den Heimweg machen? Er wartet draußen.«
Da'ud nickte zustimmend und befahl einem Diener, den jungen
Mann hereinzubitten. In dem Augenblick, als er den Raum betrat,
flackerte in Da'uds ruhigen Augen verblüffte Erinnerung auf. Dieser
Mann hatte am Vortag die von Djamila provozierte Störung bei der
Beschneidungszeremonie auf so elegante Weise überspielt. Auch heute
nahm Da'ud keinen Bezug auf den Zwischenfall. Noch würde er jemals mit
dem leisesten Hinweis andeuten, daß er ihn bemerkt hatte.
Rabbi Samuels Beschreibung des Menahem ben Saruq war
zutreffend, wenn auch oberflächlich gewesen – mit Absicht?
fragte sich Da'ud. Er fand die
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