Die Zypressen von Cordoba
Mittel vorenthalten, die jeder erwachsene Mensch
braucht, um in Notfällen mit dem Leben fertig zu werden? Seht Euch nur
die arme alte Witwe Tamara an. Hätte man ihr auch nur die Grundzüge des
Rechnens und der einfachen Geschäftsvorgänge beigebracht, niemand hätte
sie betrügen und ihr das Vermögen abschwindeln können, und sie müßte
jetzt nicht selbst ihre Schwelle fegen. Wie, meint Ihr, wären wir
zurechtgekommen, nachdem meine Mutter tot war, wenn ich nicht den
Bauernhof hätte bewirtschaften können, während Vater als Lehrer in
Marrakesch so viel verdiente, wie er nur konnte? Es ist ein Verbrechen,
Frauen in völliger Unkenntnis über die Welt ringsum zu belassen.«
Djamila wurde von ihrer Überzeugung mitgerissen und lief mit
kräftigen Schritten durch das Zimmer, während sie ihre Gedanken
hervorsprudelte. »Es muß eine unauffällige Methode geben, wie wir
diesen hilflosen Mädchen eine grundlegende Bildung mitgeben können, die
sie vor der Unbill des Lebens ein wenig schützen kann, denn sie haben
keine Eltern, die das für sie tun können. Ihr selbst wißt besser als
die meisten anderen, wie wichtig Bildung für Menschen von niedriger
Geburt ist, und es fehlt Euch sicherlich nicht an Intelligenz. Euch
fällt doch bestimmte eine Methode ein, wie man diese Kinder lehren
kann, ohne gleich die Gemeinde zu schockieren?«
Djamila fuhr herum, um Menahem geradewegs ins Gesicht zu
starren, aber sein durchdringender Blick ließ sie verstummen. »Was ist?
Macht Euch meine Waghalsigkeit Angst? Bin ich die erste Frau, die je
hilflose Mädchen zu schützen versucht hat?«
»Die erste Frau …«, wiederholte Menahem mit heiserer
Stimme, »die erste Frau, die ich je … je …«, aber
seine Stimme versagte.
»Je was?«
Menahem senkte den Blick auf seine Papiere und blätterte hin
und her.
»Los doch. Sagt es mir. Ihr seid schon zu weit gegangen, jetzt
gibt es kein Zurück mehr. Ich bin die erste Frau, die ihr
je …«, versuchte sie ihm zu entlocken, wie man einem Kind eine
Lektion entlockt, die es noch nicht ganz gelernt hat.
»… die ich je als Frau betrachtet habe«, stammelte er
schließlich, die Augen immer noch unverwandt auf die Papiere gerichtet.
Djamila brach in schallendes, helles Gelächter aus. »Das nagt
also an Euch! Und mit gutem Grund. Von einem Bauern zum anderen, das
ist ein außerordentlich unnatürlicher Zustand für einen jungen Mann wie
Euch! Aber es gibt in Córdoba viele andere Frauen wie mich. Wir müssen
eine für Euch suchen, um das zu ändern.«
»Das hätte keinen Zweck. Die Heilung ist hier, in diesem Raum,
aber sie ist mir verwehrt. Und selbst wenn es nicht so wäre, könntet
Ihr mir sicherlich keinen Reiz abgewinnen. Ich besitze keine der
Eigenschaften, die in einer Frau Liebe erwecken könnten. Allein schon
meine rauhen, ungeschickten, herabbaumelnden Hände«, sagte er und legte
die Handflächen auf den Tisch. »Die sind völlig abstoßend, und außerdem
bin ich mit den höflichen Gepflogenheiten einer Werbung überhaupt nicht
vertraut. Und weil es mir ohnehin an den Mitteln fehlt, eine Frau zu
ernähren, die meinem Status als Gelehrter entspricht, mache ich mich
auf ein Leben in Einsamkeit gefaßt.«
»Was für ein Unsinn!« lachte Djamila wiederum, obwohl Menahems
zarte Anspielungen auf die Gefühle, die er für sie hegte, sie sehr
gerührt hatten. »Es muß doch irgendwo eine passende Jungfer für Euch
geben …«
Menahem hob den Kopf und hatte sich nun entschlossen, seine
Gedanken – und seine Gefühle – offen zu bekennen.
»Jetzt, da meine Augen auf Euch geruht haben, sind sie blind
für alle anderen Frauen. Euer natürlicher Stolz, Euer unabhängiger
Geist, die üppige Fülle Eures Körpers, großzügig wie Mutter Erde
selbst – all das verursacht in mir einen Aufruhr der Gefühle.
Und dann ist da noch das besondere Band, das uns miteinander vereint:
unsere bescheidene Herkunft und die zynische Art, wie wir alle beide
von unserem gemeinsamen Herrn und Gebieter benutzt werden. Nachts
träume ich davon, Euch seinen Fängen zu entreißen, tagsüber verlangt es
mich selbst danach, mich aus diesen Ketten zu befreien. Und oft, wenn
ich dieses Haus verlasse, sehe ich mich als liebenden Vater Eurer
Amira, weil es mir das Herz zerreißt, wie Euer Gatte sie behandelt.
Doch meine Hoffnungen und Wünsche werden keine Erfüllung finden, ich
muß verzichten. Ich erwarte nicht, daß Ihr meine Gefühle erwidert. Ich
bitte Euch nur, ihrer nicht zu spotten.«
Djamila
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