Dieb meines Herzens
seiner Familie auf diese Weise Kummer bereiten wollen. Aber ehe er seine Leidenschaft, wie Sie es nennen, fand, hatte er sich immer mehr in sich zurückgezogen. Seine Eltern machten sich schon Sorgen, weil er so vor sich hin brütete. Er schien durchs Leben zu gehen, ohne es zu leben.«
»Ich verstehe.«
»Sein Talent hatte ihm alles auf mancherlei Weise erschwert«, erklärte Victoria. »Andere, die von seiner Gabe
wissen, fühlen sich in seiner Gegenwart oft unbehaglich. Als Folge davon konnte er nie viele Freunde gewinnen.«
»Ich verstehe.«
Victoria beobachtete sie eindringlich. »Seine Gabe ist es, die verhinderte, dass er eine Frau fand. Frauen scheuen ganz natürlich eine Ehe mit einem Mann, von dem sie fürchten, dass er sie allein mit der Kraft seiner Stimme völlig beherrscht.«
»Hmm ja, ich sehe das Problem«, sagte Leona lebhaft. Thaddeus’ Problem, eine Frau zu finden, war das Allerletzte, was sie besprechen wollte. Sie beeilte sich, das Thema von vorhin wieder anzuschneiden. »Er sagte zu mir, dass das herrliche Gewächshaus da draußen seine Existenz dem botanischen Interesse seiner Eltern verdankt. Es ist ihre Leidenschaft.«
Victoria nickte nach kurzem Zögern. »Ja, ich glaube, das stimmt wohl. Merkwürdig, in diesen Begriffen dachte ich nie von Thaddeus’ Tätigkeit und vom Gewächshaus.«
»Sie kennen die Mitglieder Ihrer Familie sehr gut. Versuchen Sie sich auch nur einen ohne seine persönliche Leidenschaft vorzustellen.«
»Also wirklich … das kann ich nicht. Hätte Thaddeus nicht seine Ermittlungstätigkeit und hätten Charles und Lilly nicht ihr Gewächshaus, wage ich gar nicht daran zu denken, wie sie wären.«
»Vielleicht Opfer von Schwermutsanfällen?«, schlug Leona leise vor.
Victoria seufzte. »Sie mögen recht haben. Dabei hielt ich diese Dinge immer nur für Hobbys oder Zeitvertreib.«
»Darf ich fragen, in welcher Form sich Ihr Talent zeigt?«
Victorias Miene verhärtete sich. »Leider ist meine Stärke nutzloser Natur.«
»Wie meinen Sie das?«
Victoria stand auf und legte sich aufs Bett. Sie richtete sich das Kissen unter ihrem Kopf zurecht und schloss die Augen. »Ich hatte immer ein Talent, das ich im Gegensatz zum Verkuppeln mangels eines besseren Wortes Abkuppeln nenne.«
»Davon hörte ich noch nie.«
»Leider erscheint es mir ganz normal.« Victoria legte den Arm über die Augen. »Zeigen Sie mir ein verlobtes Paar oder Eheleute, und ich kann sofort sagen, ob sie zueinander passen oder nicht.«
»Wie ungewöhnlich.«
»Und, wie ich sagte, völlig nutzlos.«
»Ich verstehe nicht. Warum ist das nutzlos?«
Victoria nahm ihren Arm von den Augen und sah Leona an. »Es hat wenig Sinn, Eheleuten zu sagen, dass sie einen großen Fehler gemacht haben. Eine Scheidung kommt für die meisten nicht in Frage, zumal wenn Kinder da sind.«
»Aber was ist mit Paaren, die an eine Ehe denken? Ich könnte mir vorstellen, dass sie wissen möchten, ob sie zueinander passen.«
»Unsinn. Ich habe festgestellt, dass es nur wenige Menschen gibt, die in den ersten heißen Aufwallungen des Begehrens hören wollen, dass sie nicht zueinander passen.«
Leona runzelte die Stirn. »Warum ist das so?«
Victoria legte wieder den Arm über die Augen. »Weil sie im Allgemeinen von dringenderen Sorgen wie beispielsweise Leidenschaft, Schönheit, finanziellem oder gesellschaftlichem Status oder einfach dem Verlangen, der Einsamkeit zu entgehen, geblendet werden.«
Einsamkeit. Das war die Triebkraft, die vor zwei Jahren hinter ihrem Interesse an William Trover gestanden hatte.
Sie war damals so allein gewesen. Zumindest bis Fog aufgetaucht war. Wäre sie damals bereit gewesen, auf jemanden zu hören, der sie vor einer Heirat mit William gewarnt hätte?
»Ich verstehe«, sagte sie leise. »Jene anderen Faktoren können sehr viel Gewicht haben.«
»Auch ein gewagtes einsames Abenteuer kann in Menschen große Leidenschaft wecken«, sagte Victoria trocken.
Leona rümpfte die Nase. »Ich wusste, Sie würden es sich nicht nehmen lassen, mir meine Verbindung mit Mr Ware vorzuhalten.«
»Keine Sorge. Ich sagte schon, dass ich nicht die Absicht habe, meine Zeit zu verschwenden.«
Leona lächelte. »Da bin ich sehr dankbar. Also, jetzt zu Ihrem Talent als sogenannte Abkupplerin.«
»Was ist damit?«
»Ich denke, die größte Schwierigkeit besteht darin, dass Sie Ihre Talente an jenen ausüben, die bereits auf die eine oder andere Weise vergeben sind.«
Victoria machte ein Gesicht.
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