Diebesgeflüster - Band 3
sich. Und trotzdem wollte ich weg von ihm. Wieder in meine heile Welt, in meine Rolle als Schwester Madelena.
Erleichtert atmete ich auf, als die Messe vorbei war. Meine Nonnen-Schwestern umfingen mich. Ich lief in dem Trott mit. Ihre warmen Körper verdrängten meine Gedanken an Nuccio. Die Menschen um mich herum führten mich wohlbehalten zurück ins Kloster. Wir lachten zusammen, während wir den Sonntag, unseren freien Tag, in dem gepflegten Garten verbrachten und unsere Gesichter von der Sonne verbrennen ließen. Immer wieder verherrlichten wir Gott, der uns diese wunderschöne Natur geschenkt hatte.
Als es dunkel wurde, zogen wir uns in unsere Zimmer zurück. Es war wie jeden Abend. Die Decke kratzte und das Nuscheln meiner Kameraden dröhnte wie Hammerschläge in meinen Ohren. Die Kerzen wurden ausgepustet und der Raum lag in Dunkelheit.
Dann spürte ich es, weil ich jede Veränderung spürte. Ein eisiger Windhauch wehte unter der Tür hindurch. Er kam nicht von draußen, wo es immer noch so heiß war, dass ich mir die Kutte am liebsten nonnenuntypisch vom Leib gerissen und im Tiber gebadet hätte. Doch auch im Kloster hatten sich die Mauern inzwischen so stark erwärmt, dass auch hier kein kühles Örtchen mehr zu finden war.
Neugierig ließ ich meine Füße auf das Gestein des Bodens gleiten. Keine der anwesenden Nonnen im Raum bemerkte meine plötzliche Bewegung. Ich wäre von ihr aufgewacht. Leichtfüßig schlich ich hinüber zu der Tür, öffnete sie und schlüpfte hindurch. Der kalte Lufthauch wehte immer noch über den Boden. Er kroch über meine Füße, um sich weiter zu verbreiten.
Je weiter ich dem Flur folgte, desto intensiver wurde die Kälte. Mein Herz blieb vollkommen ruhig. Ich lauschte den Geräuschen. Hier war niemand. Aus einem Zimmer klangen Schnarchlaute, die ich all die Wochen mühevoll ignoriert hatte, aber auf den Gängen war niemand mehr. Sie lagen ausgestorben da.
Trotzdem lief ich vorsichtig weiter. Ich musste vor der Äbtissin aufpassen, die schon öfter nachts stampfend durch das Kloster gelaufen war. Aber die Schritte, die sie schon aus der Ferne verrieten, blieben aus.
Ich folgte dem Luftstrom immer weiter, bis hin zu einem Wandteppich, der durchaus nicht jedermanns Geschmack traf. Nachdem ich noch ein letztes Mal in die Nacht hinein lauschte, zog ich den Teppich zur Seite. Hinter ihm befand sich eine Tür.
Eine Tür, die bloß angelehnt war.
Durch die Schlitze zwischen Tür und Mauer strömte eiskalte Luft herein. Es war keine Tür, die ins Freie führte, das war mir klar. Es war ein Eingang. Ein Eingang in die unterirdischen Gänge?
Meine Fingerspitzen kitzelten vor Aufregung. Kurzentschlossen tauchte ich ein in die Kühle der Unterwelt. Es war wie kaltes Wasser – eine Erfrischung für meine erhitzte Haut.
Die Stufen hinter der Tür führten mich hinab. Es war eine scheinbar endlose Strecke. Kein Licht erhellte den Weg, aber das machte nichts. Meine Augen hatten sich so schnell wie die einer Katze an die Dunkelheit gewöhnt.
Rechts und links zweigten Gänge ab, doch ich lief nur geradeaus. Sobald ich in einer Sackgasse stand, würde ich wieder zurückgehen. Ich wollte mich auf keinen Fall verirren. Meine Beine trugen mich immer weiter. Wie viel Zeit verging, wusste ich nicht. Langsam wurde mein Atem schneller. Hatten diese Gänge überhaupt kein Ende? Ich prägte mir Kreuzungen ein, bei denen vier und mehr Tunnel aufeinander trafen. Aber all diese Kreuzungen hatten kein Ende. Allmählich wurde ich müde. Es war sicherlich bald Morgen, und ich wollte noch vor Sonnenaufgang zurück in meinem Bett sein, also drehte ich mich um und rannte den Weg zurück, den ich gekommen war. Immer schneller, weil ich befürchtete, zu lange schon hier unten gewesen zu sein.
Und dann hörte ich die Stimmen. Eine weibliche und eine männliche. Die Weibliche gehörte der Äbtissin. Die Männliche kannte ich nicht.
Sie kamen auf mich zu. Jetzt konnte ich nicht mehr verhindern, dass mein Herz schneller schlug.
Ich konzentrierte mich nicht auf die Worte, die ich mit Leichtigkeit hätte verstehen können, sondern rannte. Wenn die Äbtissin mich hier unten sah, konnte ich meinen weiteren Aufenthalt im Kloster vergessen. Ich schlüpfte in die nächste Abzweigung und wartete. Ich hoffte, sie würden nicht hier vorbeikommen. Gott, Pater noster, gab es dich? Ich bat ihn darum, mir zu helfen.
Die Stimmen blieben stehen, sie verabschiedeten sich förmlich. Dann entfernte sich die Äbtissin,
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