Diebesgeflüster - Band 3
Schweißgestank nicht riechen, die einzelnen Holzfasern im Kreuz vier Bankreihen vor mir nicht sehen, den heißen Wind, der über das Mittelmeer kam und gelben Sand mitbrachte, nicht schmecken und nicht fühlen. Wer brauchte schon Augen, die im Dunkeln Briefe des Papstes lesen konnten? Hatten meine Eltern gewusst, dass ich anders war, und mich deshalb ausgesetzt?
Schluss jetzt!, ermahnte ich mich selbst und schluckte den Geschmack des heißen Windes hinunter. Ich musste wachsam sein.
Was Fabrizio vorhatte, war riskant. Seitdem der Papst letztes Jahr die Schweizer Garde eingeführt hatte, würde es noch schwieriger werden, an seine Besitztümer heranzukommen. Hoffentlich würden sie nicht auch die unterirdischen Gänge kontrollieren.
Die Ringe des Papstes zu stehlen, war ebenfalls ein gefährliches Unterfangen gewesen, bei dem wir letztendlich erwischt worden waren – von Adalgiso. Ja, er hatte uns nicht verraten. Und ja, vielleicht konnten wir ihm trauen. Aber was wollte Fabrizio mit so einem? Er hatte keine Fähigkeiten, so wie wir anderen. Träume sehen? Dass ich nicht lache! Erstunkener, erlogener Mist! Doch es war nicht meine Entscheidung, wer in unsere Gruppe gehörte.
Ich war die Zweite gewesen, die Fabrizio ausgewählt hatte – direkt nach Nuccio. Nuccio war auch jemand, den ich nicht einschätzen konnte. Er hatte noch nie etwas Falsches getan. Er hat immer zu Fabrizio gehalten. Wäre ihm seine sizilianische Herkunft nicht derart ins Gesicht geschrieben, hätte ich die Beiden für Brüder gehalten. Doch die Tatsache, dass er nie sprach, verunsicherte mich.
Constantino, Ada und Adalgiso waren nach mir gekommen. Fabrizio hatte recht, ich hatte jedem anfangs misstraut. Ich sollte mich nicht so anstellen.
Eine Glocke rief uns zum Abendessen, das wir stumm einnahmen. Danach besuchte ich die Äbtissin, um sie darum zu bitten, einige Wochen hier bleiben zu dürfen, ich würde auch fleißig im Garten und bei sonstigen Arbeiten mit anpacken. Sie stimmte zu. Ich hatte es nicht anders erwartet. Sie wollte mich sowieso so schnell wie möglich aus ihrem Zimmer haben – das fühlte ich, denn der Boden vibrierte von ihrem Bein, das unter der Kutte ständig zuckte.
Nach diesem Gespräch flickte ich Kleider und, als es dunkel wurde, nistete ich mich in mein ungemütliches Zimmer, das ich mir mit fünf anderen Nonnen teilte, ein. Die Decken kratzten an meiner Haut, während meine Zimmerkameraden ihre Nachtgebete sprachen. »Pater noster, qui es in caelis …«
Ich bewegte stumm meine Lippen. Der Pater noster … sah er mich? Würde er mich hassen, wenn ich den Gral stehlen würde? Bestimmt nicht. Der Papst hatte ihn sich wohl auch einfach so genommen.
Das lateinische Flüstern der Frauen erstarb.
Ich hatte Mühe, auf der stacheligen Strohmatratze einzuschlafen.
Meine Tage verbrachte ich abwechselnd mit Gartenarbeit, Weben, Waschen und Beten, Beten, Beten. Zumindest täuschte ich das Beten vor. Aber ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich dem Pater noster Fragen stellte. Er gab mir keine Antwort.
Trotz meiner Enttäuschung darüber genoss ich die Wochen hier. Ich hatte immer genügend zu essen, Gesellschaft und ein Bett. Es kostete mich zwar jeden Abend Überwindung und starke Konzentration, nicht an das Fühlen zu denken, aber es gelang mir jedes Mal schneller. Die Rolle der Schwester Madelena begann mir zu gefallen.
Heute war Sonntag. Wir saßen zur Heiligen Messe in der Sixtinischen Kapelle - nicht wie sonst in der Kirche San Giovanni in Laterano, weil der Papst heute nicht anwesend war, er deshalb dort keine Messe hielt, und die Sixtinische Kapelle einfach näher am Kloster lag.
In der letzten Reihe saß Nuccio. In seinen schwarzen, welligen Haaren hing Staub und Dreck. Sein Gesicht war starr und kalt. Niemand saß direkt neben ihm. Als ich in die Kapelle getreten war, hatte ich meine Augen nur für einen winzigen Augenblick auf ihm ruhen lassen. Er war hier, und ich wusste, dass er jeden Abend hier war. Doch seltsamerweise brachte mich seine Anwesenheit durcheinander. Nuccio störte meine innere Ruhe, die sich in den letzten Tagen gebildet hatte. Ich war Schwester Madelena gewesen und plötzlich – er holte mich zurück in die Realität. Leider war ich keine Nonne. Ich war Elisa – irgendwie. Ich war eine Diebin. Eine Frau, der auf der Straße niemand Respekt zollte.
Ich konzentrierte mich auf Nuccio. Ich spürte ihn kaum. Sein Atem war leise, sein Herz ruhig. Nicht einmal seine Augen bewegten
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