Diebesgeflüster - Band 3
doch der Mann kam näher auf mich zu.
Mein Herz klopfte so laut wie die Kirchenglocken, wenn sie zur Heiligen Messe riefen. Ich hielt die Luft an, weil ich befürchtete, einen Sturm mit meinem Atem auszulösen.
Die Schritte näherten sich unaufhörlich.
Meine Hände ballten sich vor Anspannung zu festen Fäusten. Sie waren so fest, dass es wehtat.
Der Mann lief an mir vorbei. Er trug eine Fackel, und ich zog mich weiter in den Gang zurück. Sein Profil zeichnete sich in starken Kontrasten vor mir ab. Ich wusste, wer es war. Ich hatte ihn schon oft gesehen – bloß noch nicht so nah.
Es war der Papst Julius II. in Reisekleidung. Noch während ich das begriff, marschierte der Papst weiter. Weg von der Äbtissin, weg von mir. Ich lauschte, bis das Klopfen seiner Stiefel verschwand, dann eilte ich wieder zurück in den Gang und die Treppe hinauf, welche ich vor einer Ewigkeit hinabgestiegen war.
Die Tür war geschlossen. Meine Hände suchten nach einem Griff, aber da war keiner. Panisch suchte ich nach irgendetwas. Nach einem Hebel zum Beispiel. Aber da war nichts. Die Tür konnte man bloß von außen öffnen.
Ich saß in der Falle.
Nuccio
Fabrizio hatte mich an einem Sonntagmorgen in einer sizilianischen Hafenstadt angesprochen. »Wie heißt du?«, hatte er gefragt.
Ich hatte geschwiegen. Ich wollte schon damals nicht sprechen, denn alles, was ich gesagt hatte, wurde mir entweder nicht geglaubt oder ich wurde dafür geschimpft. Also blieb ich stumm.
»Nuccio. Du heißt Nuccio«, hatte er beschlossen.
Nuccio … das gefiel mir. Ich hatte zuvor sowieso keinen Namen besessen. Meine Eltern waren so einfallsreich gewesen, mich und meine Brüder durchzunummerieren. Ich war Nummer sechs. Aber Nuccio klang besser als Sei . Ich war ihm dankbar für diesen Namen. Dann wollte Fabrizio wissen, ob ich mit ihm die Welt erkunden wolle. Ohne es mir zu überlegen, folgte ich ihm auf ein Schiff, das uns nach Italien brachte. Ich vermisste meine Familie nicht. Eine Familie, die mir nicht einmal einen Namen gegeben hatte. Wie sollte ich auch? Fabrizio war meine neue Familie. Er fragte mich, warum ich nie redete. Als Antwort lächelte ich bloß. Er akzeptierte es.
Unser erster Halt war in Neapel gewesen. Wir stahlen Lebensmittel, Gold und Edelsteine und zogen uns mit unseren Errungenschaften in die Berge zurück. Man konnte richtig gut davon leben. Ich genoss es, mit Fabrizio durch die Städte zu streifen – es war viel bequemer, als auf dem Feld zu arbeiten, auf dem die unbarmherzige Sonne alles verbrennen ließ.
Aber zwischen all unseren Streifzügen kehrten wir immer wieder nach Rom zurück. Fabrizio wollte das. Dann ließ er mich einige Tage alleine. Das erste Mal war ich mir unsicher gewesen, ob er wieder zurückkommen würde, aber er kam. Und er nahm mich wieder mit. Aber ich hasste diese Tage, in denen ich alleine durch die Straßen streunte wie ein entlaufener Hund.
Eine kleine Gestalt trat aus der Apsis hervor. Es war Ada. Ich wusste nicht, wie sie hier hereingekommen war, denn der Priester schloss immer, wenn es dunkel wurde, die Haupttore der Sixtinischen Kapelle ab. Am Anfang hatte er noch versucht, mich hinaus zu scheuchen, doch ich blieb stets stur, reglos und sprachlos auf meinem Platz sitzen. Am ersten Morgen war er misstrauisch gekommen, hatte mich immer noch auf derselben Stelle sitzen sehen, und war beruhigt gewesen. Er schloss auf, und ich ging. Seitdem kümmerte ihn meine nächtliche Anwesenheit nicht mehr.
Ich fragte Ada nicht, welchen geheimen Gang sie benutzt hatte. Sie würde ihn mir sicherlich noch zeigen, dann, wenn wir den Gral stehlen würden. Wie ein Gespenst glitt sie federleicht über den Steinboden der Kapelle und kam zu mir herüber. Sie streckte sich wie eine junge Katze, legte sich stumm neben mich auf die Bank und bettete ihren blonden Haarschopf auf meine Knie. Sie war so still wie ich, das liebte ich an ihr.
Adas Atemzüge wurden ruhig. Zu ruhig. Das zeigte mir, dass sie nicht schlief. Es war, als würde ihr Körper langsamer funktionieren. Ihr Herz schlug langsamer und das Blut pulsierte langsamer durch ihre Adern. Sie war wach, aber irgendwo anders.
Ich hielt sie fest in meinen Armen, drückte ihren kälter werdenden Körper gegen meinen warmen Bauch. In der Dunkelheit der Kapelle konnte ich nichts mehr sehen. Für gewöhnlich schien kurz nach Mitternacht der Mond durch die Fenster. Bewegungslos wartete ich, bis er über das Himmelszelt wanderte und sein kaltes Licht durch das
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