Diebesgeflüster - Band 3
Fenster glitt. Das war der einzige Moment in der Nacht, in dem ich den Innenraum der Kapelle erblickte. Es rührte sich nichts. Stundenlang. Ada und ich waren die einzigen Lebewesen hier in der Kirche. Wenn das Licht verschwand, kam das Leben in Ada zurück. Mit einem Ruck setzte sie sich auf, strich ihre blonde Mähne glatt und verschwand leichtfüßig wieder hinter dem Altarraum.
Ich fühlte mich wie eines dieser Fresken, die die Wände zierten. Bewegungslos und starr und alles beobachtend. Sobald ich wieder alleine war, schlief ich ein. Mein Kopf sank auf meinen Brustkorb, und ich schlief, bis mich der Priester mit seinem Schlüssel klirrend aufweckte.
Dann stand ich auf, als wäre ich die ganze Nacht wach gewesen, stellte mich neben den grauhaarigen Mann und wartete, bis er mir die Tür öffnete und mich hinausließ.
Mein Weg führte mich zu einem kleinen Gasthaus, in dem ich ein Zimmer gemietet hatte.
»Da bist du ja endlich, Nuccio. Wenn du hier nicht mehr leben möchtest, sag mir Bescheid, dann kann ich dein Zimmer jemand Anderen geben«, meckerte der Gastherr.
Ich senkte entschuldigend den Kopf.
Er nuschelte noch ein paar Worte, aber er wusste, dass ich ihm nicht antworten würde, also verstummte er.
Fabrizio musste immer öfter wieder hierher zurück. Wir waren schon lange nicht mehr alleine. Elisa und Ada hatten sich unserer Gruppe angeschlossen. Aber ihnen machte es nichts aus, nach Rom zu kommen. Wenn Fabrizio fort war, verbrachten Elisa, Ada und ich viel Zeit zusammen auf den Straßen. Ada und ich trafen auf Constantino und stellten ihn Fabrizio vor. Constantino musste noch ein ganzes Jahr warten, bis Fabrizio ihm vertraute und er endlich ein Teil unserer Gruppe werden konnte. Und vor zwei Jahren hat Fabrizio auf einmal gesagt, er könne nicht mehr herumwandern, er müsse in Rom bleiben.
Für Ada, Elisa und mich brach eine Welt zusammen, die nicht schöner, nicht freier hätte sein können. Aber ich war der Einzige, der Fabrizio verstand und wusste, dass er die Wahrheit sprach. Aus diesem Grund suchte ich mir ehrliche Arbeit. Letztes Jahr wurde der Grundstein für den Petersdom gelegt. Sie suchten Arbeiter. Ich meldete mich und konnte seitdem mein Zimmer gut bezahlen – natürlich unterstützten mich Fabrizios Pläne, die immer mal wieder Geld einbrachten. Ada hatte mir einmal erzählt, dass sie jeden Tag darauf wartete, eine Nachricht von Fabrizio zu erhalten. Dann wäre ihr Leben wenigstens nicht sinnlos.
Ich hatte das Gefühl, dass Ada mir mehr erzählte als allen anderen Menschen zusammen. Vielleicht, weil ich zuhörte und ihr nicht widersprach.
Meine Hände warfen mir klares Wasser ins Gesicht. Sie verstrubbelten meine Haare, bis all der Dreck und Staub aus ihnen gefallen war. Eigentlich war es sinnlos, sich zu reinigen, denn ich würde bei der Arbeit sofort wieder dreckig werden, doch ich fühlte mich besser, wenn ich sauber war.
Die Schüssel unter mir hatte all den Staub und den Dreck aufgefangen. Eine Schüssel … der Gral sollte auch nur eine Schale sein. Wer gab so viel Geld für eine Schale aus, die aus Holz ebenso nützlich sein konnte? Kopfschüttelnd goss ich das Dreckwasser aus dem Fenster. Es war Zeit, arbeiten zu gehen.
Der Bau der neuen Kirche schritt recht schnell voran. Die Mauern wuchsen bereits so weit in die Höhe, dass man sich selbst dagegen so klein wie eine Ameise vorkam.
»Nuccio!«, rief jemand und winkte mich erfreut herbei. Es war hier anders als daheim auf Sizilien. Man respektierte mich. Mich, den Starken, wie sie mich nannten. Es machte ihnen nichts aus, dass ich nicht sprach. Sie hatten sich daran gewöhnt. Außerdem war ich jemand, der nicht jammerte.
Ich packte die schweren Steine und verteilte sie dorthin, wo man sie gerade brauchte. Obwohl ich auch drei oder vier der zurechtgemeißelten Felsbrocken hätte tragen können, trug ich immer nur einen. Es reichte, wenn ich einen Stein trug, der normalerweise von zwei Männern umhergetragen wurde. Ich wollte nicht noch mehr auffallen.
Ich machte nichts Anderes – nur Steine schleppen. Und sie waren dankbar dafür.
An meiner Arbeit störte mich nur der Lärm. Tausende Leute waren jeden Tag um mich herum. Sie schrien umher, bellten Befehle und meckerten uns Arbeiter an. Und dann waren da noch die Fremden, die nach Rom gepilgert kamen. Sie strömten herbei, um ihre Sünden zu begleichen.
Über die Art und Weise, wie sie das erreichen wollten, konnte ich bloß den Kopf schütteln. Sie kauften sich frei.
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