Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
gekleideten und finsteren jungen Mann am Ecktisch
in der Springenden Ziege. Nur eine spärlich bekleidete junge
Frau sah ihn lange aus hellen Augen an, aber er blickte nie
zurück, und ein Gefühl, das der Angst sehr nahe kam, hielt
sie davon ab, zu ihm zu gehen. Irgend jemand sprach sie an und
verließ die Kneipe mit ihr, die Hand unter ihren Rock
geschoben. An der Tür blickte sie noch einmal zurück.
Der finstere aber doch irgendwie anziehende dunkle Mann stierte
weiter in sein Bierglas und sagte kein Wort, winkte ab und zu nach
der Bedienung, wenn er Nachschub brauchte, und niemand redete mit ihm
oder trat an seinen Tisch.
Bis die vier Männer kamen.
Einer von ihnen, der Malingasa hieß, war erst kürzlich
nach draußen gegangen, um sich zu erleichtern, und hatte dieses
schlanke, geschmeidige und dunkel gekleidete junge Gespenst an einer
Stelle gesehen, an der die Nacht vom bleichen Licht einer
Straßenlampe erhellt wurde. Man hatte Hanse entdeckt,
Nachtschatten war beobachtet worden. Diese vier Männer kannten
ihn als einen nächtlichen Herumtreiber, einen jugendlichen Mann,
der körperlich mit den Schatten der Nacht verschmelzen zu
können schien. Er war allein, einsam und verlassen, und diese
vier Männer wollten etwas von ihm, wollten seine Dienste.
Trotzdem tat er so, als sei er nicht der, den sie suchten, lehnte
ihr Angebot ab.
Sie bedrängten ihn. Sie sprachen ruhig aber ziemlich offen,
denn sie wußten, was er war. Sie hatten einen Einbruch und
einen Diebstahl vor. Es ging um eine Aufgabe, die nach mehr als einem
Mann als Rückendeckung und Unterstützung verlangte, aber es
mußte unbedingt ein Spezialist sein. Eine menschliche Katze.
Das fehlte ihnen noch zu ihrem Vorhaben. Sie wollten Hanse; nein, sie
wollten Nachtschatten. Er lehnte ab, und sie faßten nach. Sie
schmeichelten und drohten, ihm und füllten seinen Krug nach, sie
feilschten und schmierten ihm Honig ums Maul. Das Wichtigste dabei
war aber wahrscheinlich, daß sie ihm sagten, es sei schwierig,
was sie vorhätten, und sie wüßten, daß niemand
so ein Kunststück vollbringen könnte, es sei denn…
Er war Hanse und hatte seine Bedürfnisse, wurde von verhexten
Münzen geplagt, hatte Ärger mit seiner Frau, war ohne
Beschäftigung, und heute abend hatte man ihm sogar das
Gefühl vermittelt, sich schämen zu müssen und nutzlos
zu sein, nach einem triumphalen Beweis seines beruflichen
Könnens und seiner Geschicklichkeit. Und nun wollten und
brauchten ihn diese vier. Als Fachmann; als Nachtschatten.
Er erklärte sich einverstanden, und sie erfuhren seinen Namen
und er die ihren. Malingasa und der glasäugige Marll,
Thuvarandis – das war nun wirklich ein bekannter Name!
– und Clur, genannt Kurzer. Ja, Hanse würde sich morgen zur
Abenddämmerung mit Kurzer hier in der Straße treffen. Sie
hatten sich geeinigt.
Die vier Männer verschwanden unauffällig, sie gingen
nicht gemeinsam, wie Nachtschatten, dessen Sinne jetzt wieder wach
und aufmerksam waren, bemerkte. Er winkte ab, als man ihm
nachschenken wollte, wartete noch eine Weile, zahlte und ging heim zu
Mignureal – die schlief, den Rücken unter der Decke ihm
zugewandt.
Am nächsten Morgen wachte er erst auf, nachdem Mignureal
schon aufgestanden war. Während sie sich zum Weggehen fertig
machte, blieb er unter der Decke liegen und tat so, als schliefe er
noch. Er merkte, daß sie zur Tür zum nächsten Zimmer
ging und dort verharrte, um ihn anzusehen, aber er blieb bewegungslos
liegen und hielt die Augen geschlossen. Er hörte sie fortgehen
und registrierte mit einigen Schuldgefühlen, wie leise sie sich
verhielt, als sie die Wohnungstür hinter sich wieder
schloß. Hanse wußte, daß er sich an ihrer Stelle
nicht so rücksichtsvoll verhalten hätte.
Aber ich bin nicht die sanfte Mignue, dachte er. Wäre ich wie sie, hätte sie mich wahrscheinlich nie
beachtet. Dann wären wir – ach, das ist albern. Wenn und
aber – das hilft niemandem weiter. Ich bin nun mal Hanse, und
sie ist Mignureal. Und vor allen Dingen bin ich
Nachtschatten.
Und Nachtschattens Fähigkeiten wurden gebraucht.
Hanse blieb mit widerstreitenden Gefühlen unter der Decke
liegen und überlegte. Sie haben mich sogar regelrecht
angefleht, dachte er mit freudigem Stolz. Und obwohl er nicht
wußte, wer das Ziel des geplanten Einbruches war oder wo es
lag, würde er es tun. Natürlich war während des
gestrigen Gespräches auch nebenbei erwähnt worden,
daß er ein Fremder sei, der als das, was er zu sein
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