Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
und ihn beschworen hatte, einen vergessenen Topf
mitzunehmen. Er hatte ungelöschten Kalk enthalten. Wenn er nicht
auf sie gehört und wenn es nicht geregnet hätte, hätte
man Hanse am nächsten Tag vor der gräßlichen
Behausung des Vivisezierers tot aufgefunden; von angreifenden
Weinranken erwürgt.
Hanse notierte sich in Gedanken, für alle Fälle
ungelöschten Kalk mitzunehmen.
Er erreichte die nördliche Stadtmauer und bemerkte, daß
sie hier verstärkt worden war. Von den reichen Bürgern, die
in diesen Gehöften wohnten, nahm er an und blickte über die
Mauer. Dahinter erhob sich der Ortsteil Stadthügel. Hanse wurde
sich bewußt, daß er noch nie dort gewesen war, und
daß sein Ziel durchaus eine dieser ländlichen Villen auf
dem mit Büschen bewachsenen und mit Bäumen bestandenen
Hügel sein mochte. Nun, er würde es früh genug
herausfinden. Jetzt war es zu spät, sich sein Pferd zu holen,
dorthin zu reiten und den Spaziergänger oder Boten zu
spielen.
Den Boten!
Dieser Gedanke ließ ihn schnell über die gewundene
Straße namens Bitterwald und zu zwei Herrenhäusern laufen.
An der Tür des ersten erschien niemand, und Hanse lächelte.
Er umging den Platz mit der Mauer und den drei Hunden und
näherte sich einer anderen Tür. Wieder antwortete ihm
niemand auf sein Klopfen, und er beschloß, es bei einem
kleineren Haus seitlich hinter dem großen Gebäude zu
versuchen. Er war überrascht, als die Tür von einer
drallen, attraktiven jungen Frau geöffnet wurde, die eine rote
Tunika trug. Sie hatte einen glänzenden schwarzen Pony, und ihr
Dekollete mußte selbst für firaqanische Verhältnisse
als gewagt bezeichnet werden. Sie sah ihn unter langen Wimpern an.
Genaugenommen musterte sie ihn sogar von Kopf bis Fuß.
»Entschuldige bitte«, sagte er und nahm den Hut ab,
unter dem ebenso pechschwarzes Haar wie das ihre zum Vorschein kam.
»Ich suche das Haus von Tethras dem Wechsler. Könntest du
mir helfen?«
»Warum?« Sie stand in der Tür, eine Hand auf ihre
breite Hüfte gestemmt, mit der anderen an den Türrahmen
gelehnt, und betrachtete ihn.
»Wa… oh, ich habe eine Nachricht für ihn.
Wahrscheinlich muß ich sie ihm ausrichten lassen, da er
bestimmt auf dem Basar ist.«
»Wie heißt du?«
Hanse legte den Kopf schief. »Warum?«
»Weil ich Janith heiße und dich vor einer Weile schon
einmal vorbeigehen sah, und weil ich alleine und wirklich einsam bin,
und weil du das Süßeste bist, das mir seit Monaten unter
die Augen gekommen ist.«
»Ich glaube das einfach nicht«, murmelte Hanse, der
beinahe zu stottern begann.
»Aber das glaubst du, nicht wahr?« fragte sie und beugte
sich weit vor, um ihm einen vielversprechenden Blick in ihre
unglaublich tief ausgeschnittene rote Tunika zu gönnen. Sie
schien zwei große geschälte Birnen zu enthalten, zwischen
denen sich eine dunkle, schattige Schlucht erstreckte. Die Frau
wackelte mit den Schultern, so daß die Birnen in Bewegung
gerieten und die Schlucht zwischen ihnen eine andere Form annahm.
Nachdem sie ihm eine Weile Zeit zum Glotzen gelassen hatte, sah sie
unter langen schwarzen Wimpern auf und ihm in die Augen.
»Komm rein und sieh dir an, was ich sonst noch zu bieten
habe, das du nicht glauben würdest.«
Hanse erschien etwas zu spät zu seiner Verabredung mit
Kurzer, und er würde bestimmt nie den Namen Heiliger Hanse
tragen.
Clur, den sie Kurzer nannten, führte ihn zu einem gewissen
Ort westlich des Basars und westlich von der Karawanenstraße,
und nun war Hanse tatsächlich in Firaqas Labyrinth gelandet, in
der Roten Zeile. Zumindest mußte er den Raum nicht mit
verbundenen Augen betreten oder einen ähnlichen Blödsinn
über sich ergehen lassen. Die anderen drei warteten bereits in
diesem merkwürdigen Raum, der früher vermutlich ein Stall
und dann ein Wohnhaus gewesen und nun verlassen war. Das einzige
Fenster war mit Brettern vernagelt. Der Boden hatte keine Bretter, er
bestand aus der nackten Erde. Auf einer Tischplatte standen neben
einer Öllampe eine große dickbauchige Weinflasche und
fünf nicht zueinander passende Becher. Es gab vier Stühle
und einen Schemel, auf dem der grauhaarige Thuvarandis mit dem
Rücken gegen die Wand gelehnt saß, die ewig langen Beine
ausgestreckt.
Der blonde Marll schenkte Wein ein, und sie redeten. Hanse
forderte sie auf, ihn Nachtschatten zu nennen und nur diesen Namen zu
benutzen, wenn sie von ihm sprachen. Sie waren einverstanden, ohne
eine Bemerkung dazu zu machen oder eine Frage zu
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