Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
und wirbelte herum, als er lossprang und
direkt über ihrem Kopf über die Gasse auf das
gegenüberliegende Dach schoß. Während sie nach oben
spähte, wunderte sie sich, daß sie nicht einmal den
Aufprall gehört hatte. Er war bestimmt schnell genug gewesen,
als er gesprungen war, aber er schien gelandet zu sein, als wäre
er durch die Luft geschwommen. Sie starrte weiter nach oben, konnte
aber nichts erkennen.
»He, kleines Mädchen«, klang plötzlich eine
leise Stimme auf. Mignureal sprang zur Seite. »Willst du da auf
der Gasse vergewaltigt werden?«
Sie starrte in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, und
da tauchte er aus der Finsternis auf und kam auf sie zu.
»Wie hast du… du warst doch… oh!«
Er war gerade seitlich in einen tiefen Schatten gesprungen und von
ihm verschluckt worden. Nachtschatten war verschwunden. Mignureal
lief eine Gänsehaut über die Arme, und Regenbogen
rührte sich verängstigt.
»Hanse? Das ist unheimlich. Bist… bist du noch
da?«
»Aye.«
Seine Stimme schien jetzt direkt aus dem Boden zu kommen. Hatte er
sich gekauert? Mignureal konnte überhaupt nichts erkennen. Da
war nur ein Schatten. Mit einer Stimme. Sie erschauderte. »Ich
kann dich nicht einmal sehen.«
Ein Schritt, und er war wieder da, sichtbar. »Ich wollte,
daß du das siehst, Mignue. Oder besser gesagt, nicht siehst.
Ich wollte, daß du das weißt. Ich schwöre dir, es
ist keine Zauberei, aber einige Leute halten es dafür.«
»Es ist, als wärst du Shalpas Inkarnation!«
»Sch… Sein Name darf nicht laut ausgesprochen
werden… und außerdem glaubst du doch nicht an die
Götter, weißt du das nicht mehr?«
Sie streckte ihm die Zunge heraus und machte ein
unanständiges Geräusch.
»Würdest du jetzt die Katzen wieder zurück in die
Wohnung bringen? Ich werde dann schon oben sein.«
»Hanse…«
»Ich meine es ernst. Ich werde schon oben sein.«
Sie mußte Wunder lange überreden, wieder
zurückzugehen. Wie eine alte Frau stieg sie die Stufen hinauf
und dachte über die mehr als nur beunruhigende Fähigkeit
ihres Geliebten nach, einfach zu verschwinden und eins mit den
Schatten zu werden. Als sie die Wohnung betrat, war er schon da und
goß aus einem Krug Bier in Wunders Napf.
»Puh«, sagte Nachtschatten. »Ich warte schon seit
einer Ewigkeit. Hast du jemanden getroffen, den du kennst, und
ein kleines Schwätzchen gehalten?«
Sie ließ sich niedersinken und bemerkte gar nicht, wie ihr
Regenbogen aus den Armen sprang.
»Du… das Fenster?«
Er nickte, prostete ihr mit dem Krug zu und trank.
»Ich wollte nur, daß du Bescheid weißt, Mignue.
Ich habe mir das während der letzten Nacht überlegt. Ich
meine, du kannst ja schließlich nicht einfach mitkommen und mir
bei der Arbeit zusehen.«
Sie blickte ihn aus starren Augen an und nickte immer wieder.
Schließlich schien sie wieder aus einer Art Trance zu erwachen
und stand auf.
»Ich bin… froh, daß ich jetzt Bescheid weiß,
Liebling. Es ist beängstigend, und es ist wunderbar. Ich kann
mir nicht vorstellen, daß da nicht irgendein Zauber oder ein
Gott mit im Spiel ist. Und ich habe mich fast zu Tode
geängstigt. Ich gehe ins Bett.«
Er grinste. »Nimm dir besser nicht vor, sofort
einzuschlafen!«
Es erschien unwichtig und völlig alltäglich, als
Anorislas ihm am nächsten Tag mitteilte, daß er ein
weiteres Pferd verkauft hatte, und Hanse elf Flammen und
fünfundzwanzig Funken auszahlte. Als er wieder ging, war es ihm
unverständlich, warum Hanse keine Freude oder große
Dankbarkeit oder überhaupt irgendwelche Gefühlsregungen
gezeigt hatte.
Hanse war die ganze Nacht über zappelig gewesen, Mignureal
merkwürdig still. Nein, er wollte nichts essen, nicht bevor
er… fort ging. Mignureal stellte fest, daß sie
überhaupt keinen Appetit hatte. Hanse konnte sich nicht
entscheiden, ob er im Bett bleiben oder aufstehen und üben
wollte.
Als die Dunkelheit über Firaqa hereinbrach, schien sie sich
auch auf Mignureals Gemüt zu legen.
»Wirst du Wunder mitnehmen?«
Er blickte sie an und hoffte, daß sie irgendeinen Vorschlag
hätte. Vielleicht gab es überhaupt keine Gefahr, dachte er. Er nickte.
»Aye, ich glaube, das werde ich tun.« Er wälzte
sich aus dem Bett und stand wieder auf. »Es wird langsam Zeit,
daß ich das Pferd hole.«
»Willst du in diesen Sachen gehen?«
»Ich werde mich umziehen, wenn ich das Pferd geholt
habe.«
»Oh.«
Er knöpfte seinen guten Mantel zu und wandte sich um.
Mignureal preßte sich
Weitere Kostenlose Bücher