Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
Anorislas
und der ÖN glotzten sich verständnislos an. Kaum eine
Minute später kam Hanse in Begleitung eines gutangezogenen
Mannes zurück, der unsicher schien, ob er sich fürchten,
beleidigt sein oder sich geschmeichelt fühlen sollte.
»Ich habe den Mann gefunden, der von allen Menschen aus
Firaqa den ehrlichsten Eindruck macht«, verkündete Hanse
überschwenglich. In Wirklichkeit hatte er einfach den ersten
ordentlich aussehenden Passanten angesprochen, der ihm über den
Weg gelaufen war. »Mein Herr, ich möchte dich bitten,
dieses Dokument laut vorzulesen, das der ÖN gerade aufgesetzt
hat.«
Obwohl er immer noch ziemlich verwirrt wirkte, fühlte sich
der Mann viel zu sehr geschmeichelt, als daß er hätte
ablehnen können. Er las vor, und Hanse hörte dieselben
Worte, die Anorislas gesprochen hatte. Es waren nur einige kleine
Absätze dazugefügt worden, die offensichtlich den
Verkäufer schützen sollten. Hanse dankte dem Mann wortreich
und wartete, bis er gegangen war. Dann verbeugte er sich vor dem
Pferdehändler, dem der Unterkiefer herabgefallen war, und dem
ÖN. Langsam aber stolz schrieb Hanse seinen Namen unten auf das
Dokument.
Anorislas lachte. »Das war einer der besten Einfälle,
den ich jemals miterlebt habe«, sagte er und beugte sich
über das Papier. »Und ich bin froh darüber. Sei jetzt
bitte nicht beleidigt, Blomis, aber du weißt ja, daß ich
auch nicht lesen kann!«
Hanse mußte einfach lachen. Blomis, der Öffentliche
Notar, lachte dagegen überhaupt nicht.
Anorislas’ Geldhändler war ein stattlicher Mann mit sehr
dünnem nebelgrauen Haar und einem großen, völlig
weißen Schnurrbart. Er war in Schwarz, Hellviolett und
Rostbraun gekleidet und hieß Perias. Hanse sah zu, wie er mit
einer fleischigen Hand, an der mehrere Ringe glitzerten, fünfzig
Silbermünzen vor Anorislas auf den Tisch zählte. Anorislas
trat einen Schritt zurück und deutete lächelnd auf
Hanse.
Hanse schluckte, als er vortrat, um die Stapel der mit dem
Flammensymbol geprägten Münzen entgegenzunehmen. Ich bin
reich!
»Mit welchem Bankier arbeitest du zusammen?« erkundigte
sich Perias, und dann führte eins zum anderen.
Hanse erfuhr, daß Perias geschäftliche Beziehungen zu
mehreren Leuten unterhielt, aber der Name, mit dem er Eindruck machen
wollte, war zweifellos Arcala. Wieder einmal hinderte sein
unangebrachter Stolz Hanse daran, weitere Informationen zu bekommen.
Er würde von irgend jemand anderem mehr über Arcala
erfahren. Auch über Perias’ Partner, eine wohlhabende Witwe
»… und gar nicht mal so alt!«
Hanse bekam ein neues Dokument und vier Silbermünzen, die er
einsteckte. Die restlichen sechsundvierzig würden bei diesem
Geldhändler bleiben, was in Firaqa die sicherste
Aufbewahrungsform war, wie man ihm versicherte. Er erfuhr ebenfalls,
wie sich Geld von selbst vermehrte. Aye, er hatte begriffen,
daß seine sechsundvierzig Münzen 2300 Kupferfunken wert
waren. Perias erklärte ihm, daß sie innerhalb eines Jahres
auf 2346 Funken oder fast siebenundvierzig Flammen anwachsen
würden, wenn er von seinem Guthaben nichts abhob. Das klang
aufregend, obwohl sich Hanse nicht vorstellen konnte, wie er eine so
lange Zeit verbringen sollte, ohne etwas von dem Geld
anzurühren, auch wenn er noch mit Einkünften durch
Anorislas rechnete. Er wollte wissen, ob sich das Geld auch dann
vermehren würde, wenn er etwas abheben müßte. Perias
brachte es fertig, nicht verwirrt dreinzuschauen oder über
Hanses Unwissenheit zu lächeln. Er versicherte ihm ernsthaft,
daß das restliche Geld auch dann weiter anwachsen würde.
Obwohl Anorislas offensichtlich gehen wollte, verweilte Hanse noch
eine Zeitlang, um sich über die Mieten in Firaqa zu erkundigen.
Ah, Perias kannte da ein paar Wohnungen…
Schließlich verließen Käufer und Verkäufer
Perias’ Geschäftsräume. Hanse hatte bemerkt, wie tief
die Sonne bereits gesunken war. Anorislas beauftragte seinen Freund
oder Gehilfen, die Tiere wegzubringen, und schlug Hanse vor, auf
einen Becher in einem Starkbierhaus einzukehren. Hanse sagte dem
Händler, daß er jemanden auf dem offenen Markt treffen
müßte. Ein paar Straßenblocks später trennten
sie sich, und Hanse eilte zu dem Geldhändler zurück.
Perias zeigte sich von Hanses Frage überrascht. Er
versicherte, daß ›wir‹ den Wert einer silbernen
Kaisermünze auf eine firaqanische Silbermünze und elf
Funken schätzen würden, bei größeren Mengen auch
mehr.
»Was ist eine größere
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