Diebin der Nacht
Diese beiden kleinen Worte trafen sie wie Schläge ins Gesicht.
»Ja«, meldete sie sich knapp.
»Was ist denn das?« Selbst seiner verzerrten Stimme gelang es noch, Sarkasmus zu vermitteln. »Kein >Guten Tag, mein Liebling< für deine große Liebe?«
»Was willst du?«, fragte sie ungeduldig.
»Was hat unser Mädchen denn so gereizt? Hast du vielleicht schon die Mittagspost bekommen?«
»Das weißt du doch ganz genau«, antwortete sie kalt. »Musst du unbedingt alles in Szene setzen?«
»Oh, lass bitte deine Affektiertheit, Lady Moonlight - ich habe dich schließlich nackt gesehen, und-«
»Fahr zur Hölle!«, platzte es aus ihr heraus, denn sie war schockiert, dass er so etwas über einen Gemeinschaftsanschluss gesagt hatte. Rose starrte sie erstaunt an. »Sag mir, warum du anrufst, oder ich werde auf der Stelle einhängen.«
»In Ordnung«, willigte er ein und ließ seine gezierte Stimme sein. »Betrachte diesen Anruf als eine Fortsetzung des Briefes. Hast du das Diadem?«
»Noch nicht. Ich habe bisher noch keine ungehinderte Möglichkeit gehabt, heranzukommen. Als wir unsere kleine Vereinbarung getroffen hatten, hattest du nichts von einem Ultimatum gesagt.«
»Nun, dann tue ich das eben jetzt. Wenn du mir dieses Diadem nicht heute Nachmittag noch übergibst, werde ich deinen >Onkel< heute Abend anrufen und ihm Breaux’ Brief vorlesen.«
Sie begann zu zittern. »Rafe! Das ist unmöglich, ich kann nicht-«
»Das hat dir nun wohl deine Frechheit ausgetrieben, was? Nun hör mir mal gut zu, du bist die geschickteste Diebin in der ganzen Stadt, und das will eine Menge heißen. Fang nun also bitte nicht an mir vorzuheulen, dass du es nicht besorgen kannst.«
»Du verstehst nicht, Paul ist-«
»Heute Nachmittag«, wiederholte er mit erbarmungsloser Beharrlichkeit. »Ich arbeite zwischen zwei und fünf Uhr in meiner Suite im Astor House Hotel, Nr. 511.«
»Rafe, bitte, ich kann einfach nicht-«
»Du wirst, ansonsten wirst du die Konsequenzen tragen müssen. Am Sonntag habe ich Caroline nichts über dich erzählt, Gott allein weiß, warum nicht. Vergiss bitte nicht, dass ich aus diesem ganzen Schlamassel herauskommen könnte, indem ich sie besuche und ihr alles erkläre.«
»Warum tust du das also nicht?«
»Wo liegt da der Spaß? Ich bekenne mich zu einer gewissen perversen Freude daran, mich auf Kosten anderer zu amüsieren.«
»Mich eingeschlossen.«
Er sagte nichts. Sein ausbleibender Spott schien etwas zu bedeuten, sie konnte jedoch nicht sagen was. Seine letzten Worte waren: »Ich erwarte dich also zwischen zwei und fünf. Bis dann, Liebling .«
Er hatte schon eingehängt, noch bevor sie ihn weiter anflehen konnte. In ihrer Verärgerung und Enttäuschung knallte sie den Hörer so hart auf den Wandapparat, dass sie dadurch die Klingel einen Moment lang zum Ertönen brachte.
»Ich habe deine letzten Sätze mit angehört«, entschuldigte Rose sich. »Und ich glaube, ich habe einen Plan, um dir zu helfen.«
»Was immer es ist«, griff Mystere verzweifelt zu. »Er ist unnachgiebig.«
»Du weißt doch, dass Paul es sich niemals nehmen lässt, zum Telefon zu kommen, wenn nach ihm verlangt wird? Hush ist im Moment in der Remise, um das Geschirr zu reparieren. Du gehst in deine Räume und lauschst auf das Telefon. Ich werde Hush zur Telefonzentrale schicken und ihn bei der Vermittlung unsere Nummer verlangen lassen. Sobald ich den Hörer abgenommen habe, kann er wieder auflegen.«
Mystere hatte die nahe gelegene Telefonzentrale völlig vergessen, wo die Allgemeinheit Ortsgespräche zum astronomischen Preis von fünf Cent führen konnte.
»Ja, natürlich.« Sie konnte spüren, wie ein kleiner Funke Hoffnung sich zum Kern ihrer Verzweiflung durcharbeitete. »Du wirst oben nach Paul rufen. Er braucht eine Ewigkeit, um die Treppe hinunter und wieder hinaufzukommen.«
Rose nickte, während sie schon ein Fünfcentstück aus der Haushaltsgeldschublade fischte und auf die Eingangstür zuging. »Ich werde sagen, dass es ... irgendeine Frau namens Sandra ist. Er wird glauben, dass die Verbindung unterbrochen wurde. Aber sei schnell, Süße. Gott bewahre uns alle davor, dass er dich auf frischer Tat ertappt und begreift, dass wir ihn reingelegt haben.«
»Oh, ich danke dir, Rosie!«, rief Mystere aus, während sie die Treppe nach oben ging. »Und mach dir keine Sorgen. Dieses Mal wird es klappen.«
Roses Plan ging reibungslos über die Bühne. Zu dem Zeitpunkt, als Paul nach oben zurückkam und heftig
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