Diebin der Nacht
hatte sie wohl beschlossen, sich jeglicher Frage darüber zu enthalten - ein schwieriges Unterfangen für eine Frau, die sich fast ausschließlich um Äußerlichkeiten kümmerte und nicht um das, was dahinter steckte.
Sie weigerte sich anzubeißen und warf Rafe einen Einhalt gebietenden Blick zu. »Strammgestanden, Mr. Beiloch«, zischte sie kaum hörbar, »oder ich werde meine Artillerie befehligen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Unbedingt«, ergab Rafe sich.
Caroline drehte sich für einen Moment um, um mit dem Orchesterchef zu sprechen. Rafe ergriff die Gelegenheit und führte Mystere von der Menschenmenge weg in Richtung einer kleinen, gusseisernen Brücke, die einen lieblichen, mit Lilien bedeckten Teich überspannte.
Bevor er sie jedoch für sich allein haben konnte, überfiel sie plötzlich ein Whisky ausdünstender Abbot Pollard aus dem Hinterhalt eines Oleandergebüschs.
»Erlauben Sie mir, dem glücklichen Paar zu gratulieren«, nuschelte er in nasalem Ton mit gekünstelter Artikulation.
Er lehnte sich vor, um Mystere etwas ins Ohr zu flüstern: »Aber unter uns, meine Liebe, die Perle wird vor die Sau geworfen.«
»Sagen Sie es laut, Pollard, Sie Trunkenbold«, schnauzte Rafe ihn ungehalten an. »Oder hat der Alkohol Ihnen das Rückgrat ersetzt?«
Abbot erhob sein Cocktailglas zu einem spöttischen Toast. »Oh, kommen Sie schon, Sie sind doch ein Freund des arbeitenden Mannes. Erkennen Sie denn nicht, dass Alkohol das Werk der fluchenden Klassen ist?«
»Abbot«, ermahnte Mystere ihn sanft, »Sie trinken wirk lic h zu viel. Was tun Sie hier überhaupt so ganz allein und versteckt?«
Erneut erhob er sein Glas, wies dieses Mal jedoch damit in Carolines Richtung. »Möge diese humorlose Xanthippe sich zum Teufel scheren. Sie ist schon wieder verärgert über mich. Ich habe lediglich den ganzen Aufruhr im Astor Place als >Disastor Place< - als Katastrophenort - bezeichnet, und sie hatte keinerlei Verständnis für meinen Missbrauch ihres Namens.«
Dieses Geständnis entlockte Rafe sogar ein Kichern. »Ein alter Scherz, aber ganz schön dreist«, gab er mit widerwilliger Bewunderung zu. »Vielleicht habe ich Sie ja ein wenig unterschätzt, Abbot. Nur ein wenig.«
Rafe führte Mystere wieder in Richtung der kleinen Brücke.
»Nun, solange wir sentimental sind«, rief Abbot ihnen hinterher, »gebt ihr zwei ein wirklich gut aussehendes Paar ab, wenn Mystere auch etwas viel Besseres verdient hätte.«
Rafe führte sie auf die Brücke. Plötzlich hatten sie einen geschützten, im Dunkel liegenden Ort inmitten des ganzen Trubels gefunden, mit einem wundervollen Ausblick auf alles und jeden. Dann und wann erhoben Violinen sich über das gedämpfte Gemurmel der Gäste. Vereinzelte Paare hatten angefangen, auf einem hölzernen Tanzboden, der mitten auf der Terrasse errichtet worden war, Walzer zu tanzen.
»Wir müssen den Klatschmäulern ein paar pikante Themen liefern«, bemerkte Rafe, der die ganze Zeit über Mystere betrachtete, als wäre sie ein Ausstellungsstück in einem Museum.
»Ich habe bemerkt, wie du Carolines Rubinarmband angeschaut hast«, sagte er, während er sie noch immer fixierte. »Eine schöne Ergänzung zu deiner Aussteuer, was, Lady Moonlight?«
»Lady Moonlight gibt es nicht mehr, da ich ja den Smaragdring habe.« Sie schaute ihn nicht an.
»Ja, den Ring. Den Preis deiner Freiheit. Wie läuft denn die Suche nach deinem vermissten Bruder namens Brad.«
»Bram.«
»Richtig, Bram. Du sagtest, er sei acht Jahre älter als du. Erwartest du im Ernst von mir, dir zu glauben, dass er dir gegenüber niemals deinen Nachnamen erwähnt hat?«
»Meine Mutter nahm ihm das Versprechen ab, ihn anderen gegenüber nicht preiszugeben. Ich vermute, er hatte einfach Angst, dass ich, die ich ja jünger war, ihn irgendjemandem erzählen könnte, wenn ich ihn wüsste.«
»In Ordnung, aber warum sollte eure Mutter etwas so Seltsames getan haben?«
Es überraschte sie zu sehen, dass Rafe wirklich neugierig zu sein schien, die gleichen Antworten zu finden, nach denen sie nun schon so lange suchte. Sie wollte ihn gerade wieder auf den Brief ansprechen, wurde jedoch durch seine nächste Frage unterbrochen.
»Woher soll ich wissen, dass diese ganze Geschichte von der verloren gegangenen Identität nicht einfach nur erfunden worden ist, um einen Schatten auf deinem Namen zu vertuschen?«
Wenn sie sich auch über diese Frage ärgerte, so nahm sie doch erneut wahr, dass sein Tonfall auf
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