Diebin der Nacht
schleppender Tod durch diese Folter gesellschaftlicher Schande, die sie sich selbst auferlegt hatte...
Rafe hatte das Ganze mit ansehen müssen, er hatte gesehen, was es war, das sie zerstörte, war jedoch nicht in der Lage gewesen, es zu verhindern.
Sam, der gerade in diesem Moment von seinem Schreibblock aufblickte, war der verbissene Zorn im Gesicht seines Arbeitgebers nur allzu bekannt. Sam hatte etwas herausbekommen, das einige andere höchstens vermuteten: Rafe Beiloch war die traurigste aller Kreaturen, unendlich erfolgreich und doch unendlich enttäuscht.
»Nun denn«, sagte Sam schließlich, wodurch Rafe wieder in die Gegenwart zurückgerissen wurde. »Soll ich ein Telegramm oder einen Brief schicken?«
»Es ist nicht dringend, benutzen Sie also ruhig den Postweg. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich hätte gern noch ein wenig Zeit, Mystere beobachten zu können - Mystere und ihren Onkel, meine ich«, korrigierte er sich schnell. »Das ist, muss ich zugeben, sogar recht amüsant.« Er lachte. »Wissen Sie, es ist vor allem eine persönliche Sache. Es ist nämlich so, Sam, dass ich so gut wie überzeugt davon bin, dass Mystere nicht nur Lady Moonlight ist. Ich glaube, dass sie und ihre Bande von Schuften es gewesen sind, die mich vor ein paar Jahren ausgeraubt haben.«
Sam staunte. »Sie meinen doch nicht das kesse Weibsstück, das Sie fast nackt in Five Points zurückgelassen hatte?«
»Ja, zur Hölle mit ihr. Und kommen Sie nicht auf die Idee, die Polizei einzuschalten, verstanden? Ich habe selber zunächst ein paar Fragen an sie zu stellen, bevor die Polizei sich um sie kümmern kann.«
Sam schaute so unschuldig drein wie ein Priester. »Die Polizei? Die ist doch nichts weiter als ein schwerfälliger Haufen von Stümpern. Ich würde sagen, dass es Ihnen mit Sicherheit sehr viel besser gelingen wird, eine dem Vergehen angemessene Strafe zu verhängen - verzeihen Sie bitte, wenn ich mir erlaube, das zu bemerken, Sir.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen, aber ich weiß Ihre guten Umgangsformen zu schätzen, Sam. Ja, Sie haben Recht«, versicherte er ihm. »Unsere hochmütige kleine Räuberin wird eine gute Portion von dem wieder einstecken müssen, was sie ausgeteilt hat, verlassen Sie sich drauf.«
»Ich glaube Ihnen«, antwortete Sam. »Wenn Sie wirklich diejenige ist, für die Sie sie halten, dann haben Sie vermutlich noch einen ganz schönen Weg vor sich. Sie könnte sich Ihnen als ebenbürtig erweisen.«
Rafe schnaubte, und seine dunklen Augen funkelten voller Vorfreude auf diese Herausforderung.
9
»Meine Liebe«, sagte Paul Rillieux in einem gebieterischen Ton, den er kürzlich von Mrs. Astor übernommen hatte, »heute Abend wirst du die Königin aller Klunker sehen, ein Schmuckstück, das eigentlich in eine Vitrine gehört und nicht an einen Finger. Caroline rief mich heute an und informierte mich über die Details. Antonias neuestes Spielzeug ist ein vierundzwanzigkarätiger Goldring mit einem riesigen indischen Smaragd in der Mitte und achtzehn radial geschnittenen Diamanten um ihn herum.«
»Sie hat schon immer ein Faible für Understatement gehabt«, antwortete Mystere trocken, obwohl Rillieux kaum Notiz davon zu nehmen schien.
Durch das Fenster der Kutsche sah sie hinaus auf einen angenehmen Abschnitt des Riverside Drive mit Blick über den Hudson. Es war eine bewölkte Nacht und die dunklen Schatten des Mondes durchstreiften den Fluss und die weit entfernte Küste New Jerseys. Die ruhelosen, ihre Form verändernden Schatten schienen ihrer Stimmung zu entsprechen.
»Selbstverständlich wirst du den Ring nicht an dich nehmen«, schwatzte Rillieux weiter. »Du wirst ihn lediglich mit allen anderen zusammen bewundern - vorerst jedenfalls. Das Schicksal dieses Ringes wird zu einem späteren Zeitpunkt besiegelt werden, wenn er weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen wird. Heute Abend, wenn jeder darauf wartet, dass Lady Moonlight nach diesem offensichtlichen Köder schnappt, wird sie stattdessen Sylvia Rohr um eine äußerst bezaubernde Brosche aus Saphiren und Diamanten erleichtern. Eine Anstecknadel, meine Liebe, keine Schnalle, es ist also ein Zulangen und Gleitenlassen, wie wir es geübt haben. Ich kenne inzwischen all ihre Gewohnheiten und ich denke, dass sie so weit ist, sie wieder einmal tragen zu wollen.«
Dr. Charles Sanford und seine Frau Catherine (geborene Logan aus dem Bostoner Immobilienclan) gaben jede Saison ihren Ball zur Sommersonnwende, und dieser hatte schon
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