Diebin der Nacht
wie Brot einen Verhungernden lockt.
Der Smaragd ist riesig und könnte schnell in mehrere schöne kleine Steine geschnitten werden.
Aber nein ... zuerst musste sie abwarten, was Hush ihr über Lorenzo Perkins zu berichten hatte. Eine Sache ist es, frei sein zu wollen, sagte sie zu sich selbst; eine völlig andere jedoch, töricht zu sein. Das Leben auf der Straße war hart. Sie kannte es nur allzu gut. Rillieux war ein Teufel, aber er war der Teufel, der sie am Leben erhielt. Außerdem hatte sie in ihrer Stellung Geld, um Bram suchen zu können. Und Lorenzo Perkins war sein Geld wert, wenn er sich zumindest Mühe gab, Bram dort zu suchen, wo sie es nicht tun konnte. Etwas völlig anderes wäre es aber, wenn sie herausbekäme, dass er lediglich ein Dieb war.
Lediglich ein weiterer Dieb, meinst du wohl, quälte ihr Gewissen sie.
»Paul?«, platzte es plötzlich aus ihr heraus, hervorgerufen durch Schuldgefühle und irgendeine namenlose, jedoch sehr reale Furcht.
»Ja?« Die plötzliche Behutsamkeit, mit der er sprach, zeigte ihr, dass ihre Stimme ihn auf der Stelle gewarnt hatte.
»Dieser ganze Unsinn in den Klatschkolumnen - ist es da wirklich klug, Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, während die Presse gleichzeitig nach Lady Moonlight sucht? Das macht mir Angst. Können wir das Ganze nicht einfach ausklingen lassen, irgendetwas anderes versuchen? Vielleicht noch nicht heute Abend. Noch nicht jetzt.«
Mystere brachte nur selten Befürchtungen dieser Art zum Ausdruck, und Rillieux reagierte ohne zu zögern darauf. Sie waren nur noch einen halben Block von dem Haus der Sanfords entfernt und näherten sich diesem im Trab. Rillieux schob die Fensterscheibe zurück.
»Baylis!«, rief er nach draußen. »Bring die Pferde in den Schritt, wir brauchen noch einen Moment!«
Er nahm ihre Hände in die seinen. »Mystere, schau mich bitte an.«
Sie wollte es nicht tun; sie wollte einfach nur aus der Kutsche aussteigen und stundenlang umherlaufen, allein mit sich selbst und ihren Gedanken. Aber da gab es keine Chance, sich den seit Jahren zwischen ihnen etablierten Gewohnheiten zu entziehen. Obwohl es so weit nördlich noch keine Elektrizität gab, warfen die flackernden Gaslate rn en genug Licht ab, um seine scharfen Gesichtszüge und die hypnotische Intensität seiner Augen erkennen zu können.
»Atme tief und langsam«, befahl er ihr. »Nicht aus der Lunge heraus, sondern noch tiefer, noch weiter unten. Langsam und gleichmäßig; sei ein braves Mädchen.«
Nachdem sein Wille den ihren besiegt hatte, spürte sie, wie eine ruhige Zuversicht ihre Verwirrtheit ersetzte.
»Ich habe dich trainiert, unter den strahlendsten Lichtem zu scheinen, erinnerst du dich? Die abgeschlossene Schulausbildung in London, eine Reise durch den Kontinent, Ballettunterricht bei der unvergleichlichen Mademoiselle Dupree. Du bist nicht irgendeine niederträchtige Diebin, die vorgibt, Kultur zu haben, du bist eine Künstlerin. Wie jede Künstlerin fürchtest du dich vor der Aufmerksamkeit, der Herausfordemng. Aber gerade die Dinge, die du fürchtest, bringen dich erst zur vollen Entfaltung. Du verwandelst deine Ängste in deinen größten Triumph.«
»Ja«, erwiderte sie, während sie sich ein wenig sammelte. »Du hast Recht. Es tut mir... es tut mir Leid.«
»Unsinn, du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, nervös zu sein; das liegt in deiner Fam-«
Er ertappte sich selbst. »Das ist dein Naturell«, verbesserte er sich. »Und merke dir noch etwas anderes, Mystere. Für dich und mich gibt es keinen Kompromiss. In gewissem Sinne befinden wir uns rittlings auf einer Flutwelle und wir müssen so lange auf ihr reiten, bis sie zusammenbricht. Oder genauer gesagt: bis kurz vor ihrem Zusammenbruch, denn dann müssen wir fliehen.«
»Und wenn wir unseren Zeitpunkt verpassen - was dann?«
»Ha! Was glaubst du wohl, meine Liebe? Mich wird man an den Galgen hängen. Und was dich angeht - nicht einmal Caroline Astor könnte sie dazu bringen, eine Frau zu hängen. Du wirst in einem Frauengefängnis >gebessert< werden, und zwar durch drahtige, pferdegesichtige alte Jungfern, die nach Zurückweisung und Scheitern stinken - und die dich dafür hassen, dass du alles das bist, was sie nicht sind.«
Er tätschelte liebevoll ihre Wange. »Aber wir werden unseren Zeitpunkt nicht verpassen, denn die Wahl des richtigen Zeitpunktes zu treffen, ist meine große Begabung.«
Zu Anfang hatte Mystere noch die Hoffnung, dass Rafe Bel- loch nicht
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