Diebin der Nacht
beben zu spüren...
Aber nein. Er zwang sich selbst, sich nicht vom eigentlichen Thema, und zwar dem ihrer wahren Identität, ablenken zu lassen. Okay, es gab hellhäutige Kreolen, das war ihm bekannt. Wie viele aber von denen, die aus New Orleans kamen, wussten nicht, wer Beast Butler war, und zwar im gleichen Moment schon, in dem sein Name ausgesprochen wurde? Teufel noch mal, zuerst musste er diese Frau entlarven, um seine Neugier zu befriedigen, dann könnte er sich daranmachen, sie zu verführen.
»In erster Linie«, gab er Sam schließlich zur Antwort, »würde ich gerne ihre Identitäten überprüft haben sowie ihre Anschriften in den vergangenen Jahren, außerdem ihr gesellschaftliches Ansehen. Finden Sie etwas über den Charakter dieses Mannes heraus. Offen gesagt habe ich den Verdacht, dass die beiden ungemein geschickte Gauner und Diebe sind, die als Team Zusammenarbeiten.«
Sam hatte die Angewohnheit, jede Tageszeitung aus der Gegend zu durchkämmen. Er hatte also schnell begriffen, worauf Rafe hinauswollte. »Heilige Johanna! Lady Moonlig h t... Sie glauben, es ist Mystere Rillieux?«
»Ich habe den Verdacht, ja, aber behalten Sie das bitte für sich. Kennen Sie sie? Mystere, meine ich?«
»Nur aus den Kolumnen. Über ihren Onkel wird sehr viel geschrieben, seit er einer von Caroline Astors Anhängern ist.«
Rafe nickte, während er noch immer nach draußen schaute. Von seinem Platz am Fenster aus hatte er einen ausgezeichneten Ausblick auf den terrassenförmig angelegten Garten, der das Haus auf drei Seiten umgab. In ihm wuchs eine Vielfalt von Pflanzen in leuchtenden Farben nach seinem ungebändigten Geschmack: Chinarosen, engblättrige Narzissen mit gelben Blüten, strahlende Flamboyant-Büsche und Ringelblumen. Inmitten dieser Fülle von Blumen erhob sich eine mit Patina überzogene Bronzefigur der Siegesgöttin, die Lorbeerkränze in die Höhe hielt. Auf einer Koppel hinter dem Garten wälzte sich ein schönes, rotbraunes Pferd mit vier weißen Fesseln faul im Gras herum.
»Ja«, fuhr Rafe fort, »Paul Rillieux hat in den >besten< Kreisen ziemlich Furore gemacht.«
Es lag in der Tat eine gewisse Ironie in dieser Situation, die Rafe inzwischen außerordentlich gut gefiel. Denn, wer auch immer Lady Moonlight wirklich war, auf eine bizarre Weise war sie seine Verbündete. Was die »oberen Vierhundert« anging, für diese war sie der Schrecken schlechthin. Gerissen unter falscher Flagge segelnd stahl sie den Reichen ihre Juwelen. Er dagegen hatte vor, ihnen ihre Herzen und ihr gutes Ansehen zu stehlen. Er würde Carrie Astor ruinieren, und indem er den wertvollsten Besitz der Königin ruinierte, würde er Mrs. Astor und ihre unumstößliche Stellung in der Gesellschaft zerstören.
Dann gäbe es keine »oberen Vierhundert« mehr, die ihr folgen und um sie herumscharwenzeln konnten. Sie alle würden die Demütigung erfahren, erkennen zu müssen, dass sie einer falschen Göttin gehuldigt hatten. Die New Yorker Gesellschaft wäre vernichtet. Sollte Lady Moonlight sie also ruhig um ihre Schmuckstücke erleichtern - er hatte vor, ein noch größerer Schurke zu sein.
Solche Gedanken brachten jedoch den Zorn ans Licht, der direkt unter dieser ruhigen Oberfläche schäumte. Er schaute erneut auf die bronzene Statue der Siegesgöttin. Sie anzuschauen stählte jedes Mal seine Entschlossenheit und spendete ihm Trost und Stärke. Sie machte ihm etwas verständlich, das sein Vater einen Augenblick lang wohl irgendwie vergessen haben musste: Ein Mann muss bis zum bitteren Ende kämpfen; das erst war der echte Sieg - auszuharren und die Oberhand zu gewinnen.
Niemals - und wenn er ein Jahrhundert leben würde - würde Rafe je die knappe letzte Mitteilung vergessen, die sein Vater der Welt hinterlassen hatte: Ich schäme mich zu sehr, um noch einen Moment länger leben zu können. Bitte vergebt mir meine Schwäche.
Nicht ein einziges Mitglied dieser Gruppe, die Abbot Pollard »die Auserwählten« nannte, war zu John Beilochs Beerdigung erschienen. Diese Tatsache war insofern recht auffällig, als der erfolgreiche Kapitalanleger vielen von ihnen zu ihrem Reichtum verholfen hatte, einige von ihnen hatte er mit heimlichen Darlehen unterstützt, um die harten Zeiten zu überstehen.
Es hatte Rafes Mutter getötet, als Ausgestoßene zurückgelassen zu werden, bemitleidet und verachtet von denen, die einst ihre Gesellschaft geschätzt und sie zu einer Auserwählten gemacht hatten. Ihr Ende war langsam gekommen, ein
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