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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meagan McKinney
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der sie ihm mitteilte, dass sie am nächsten Tag um ein Uhr mittags an gewohnter Stelle auf ihn warten würde. Danach hängte sie wieder ein. Ihr Herz schlug wie wild, denn sie hatte das Gefühl, an einem kritischen Punkt in ihrem Leben angekommen zu sein.
    Sie war sich nicht sicher, was sie Perkins sagen würde - oder was er tun würde. Wenn sie jedoch jemals Bram zu finden hoffte, musste sie zunächst einmal schleunigst ihren eigenen Weg gehen; zumindest darüber war sie sich völlig im Klaren. Wie Pauls beunruhigende Bemerkungen über Beiloch ihr zu verstehen gegeben hatten, musste sie außerdem das Feuer löschen, sowohl seines als auch ihres. Nicht nur, dass Rafe eine Bedrohung war, er wurde nun selber bedroht. Ganz egal, wie sehr er sie auch wütend machte und ängstigte, sie würde es nicht einmal im Traume ernstlich in Erwägung ziehen, Gewalt gegen seine Person anzuwenden.
    Wenn sie nur stark genug sein könnte - sie würde am kommenden Tage damit anfangen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

12
    »Schon wach?«, fragte Rose mit der Frühstücksglocke in der Hand durch die Schlafzimmertür. Mystere, die zwar die Augen weit offen hatte, deren Gedanken jedoch nach innen gerichtet schienen, war deutlich durch die himmelblauen französischen Vorhänge ihres Himmelbettes zu erkennen.
    »Schon seit einiger Zeit vor dem Sonnenaufgang«, beichtete sie, »und trotzdem liege ich noch hier wie eine Langschläferin.«
    »Nun, vielleicht solltest du den hohen Herrn in eine heitere Stimmung versetzen, indem du ihm heute Morgen beim Frühstück Gesellschaft leistest«, schlug Rose taktvoll vor und fügte hinzu: »Ich habe gestern gehört, wie er dich im Salon angebrüllt hat. Jesses Maria, er hat die Fensterläden ganz schön zum Klappern gebracht!«
    »Vielleicht sollte ich ihm wirklich Gesellschaft leisten«, stimmte Mystere ihr zu und schlug die Tagesdecke zurück.
    Sie hatte jedoch nicht gefaulenzt, vielmehr war sie durch Angst wie gelähmt gewesen. Ihre neu gewonnene Entschlossenheit war während der fast schlaflosen Nacht irgendwie schwächer geworden. Der Gedanke an das, was ihr bevorstand - heute mit Lorenzo und später dann mit Paul und Rafe Beiloch -, ließ in ihr den Wunsch aufkommen, sich unter der Bettdecke zu vergraben und nie wieder darunter hervorzukommen.
    »Rose?«
    »Hmm?«
    Mysteres Blick wanderte zum Schreibtisch neben dem Ostfenster hinüber. Sie unterdrückte jedoch den Drang, den Brief ein weiteres Mal in die Hand zu nehmen - sie hatte ihn schon genug abgenutzt. Ihn nochmals zu lesen, tadelte sie sich selbst, würde auch keine Geheimnisse preisgeben. Und doch gab es da ein Geheimnis - das wusste sie so sicher wie das Amen in der Kirche. Und ganz egal wie, sie würde, sie musste hinter dieses Geheimnis kommen. Denn irgendwie hatte es etwas mit Brams Verschwinden zu tun.
    »Ja?«, erinnerte Rose sie sanft, da sie an Mysteres düstere Stimmungen gewohnt war.
    »Denkst du oft an Irland?«
    Diese Frage schien Rose nicht zu überraschen. Obwohl sie nicht wie Mystere aus Dublin stammte, sondern aus einem ländlichen Gebiet an der Irischen See, schien sie Mysteres Neugierde zu verstehen. Da Rose älter und länger in Irland geblieben war, überhäufte Mystere sie des Öfteren mit Fragen. In der Tat war das Verlangen der jungen Frau nach Informationen über ihr Heimatland und ihre Familienwurzeln unersättlich. Ihre ganze Lektüre, die endlosen Befragungen im Ausland lebender Iren ... Mystere war sogar jeden Tag ins American Museum gegangen, als Bamums aufwendiges, maßstabgetreues Modell Dublins dort ausgestellt gewesen war.
    »Ich denke schon viel an meine Familie, aber ich behaupte noch immer, dass ich meinen Heimatort nicht gerade vermisse. Ich bin ’53 geboren, während der Missernten, wenn auch das Schlimmste damals schon vorbei war.«
    Mysteres Augen hatten einen verklärten, abwesenden Blick angenommen. »So viele sind während der Hungersnot gestorben, dass tödlicher Hunger unsere einzige nationale Identität zu sein scheint.« Sie zog sich weiter in ihre düsteren Gedanken zurück. Sie selbst war Irin. Einer der schwierigsten Aspekte ihres Täuschungsmanövers war es, die unverhohlene Verachtung ertragen zu müssen, mit der die überwiegend protestantischen »oberen Vierhundert« die Iren und natürlich die Katholiken überschütteten.
    Sie stand auf, schlüpfte achtlos in einen Morgenmantel und ging zu dem Kleiderschrank aus Satinholz hinüber. Was auch immer sie beschloss anzuziehen,

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