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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meagan McKinney
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Rafe Belloch zu denken und sich stattdessen mehr auf das direkt anstehende Problem in der Gestalt von Lorenzo Perkins konzentrieren.
    »Fahren Sie ein wenig die High Street entlang«, entschied sie.
    Sie verließen den Park und fuhren in Richtung Norden, indem sie der angenehmen, von Bäumen umsäumten Allee durch Blocks komfortabler Reihenhäuser hindurch folgten. Das Land war hier billiger, und die weniger Betuchten konnten sich anständige Häuser leisten und trotzdem in der Nähe ihres Arbeitsplatzes wohnen.
    Aber Perkins, Perkins, sie zwang sich, konzentriert zu bleiben. Sie hatte das beunruhigendes Gefühl, dass die Aufkündigung seiner Dienste weder schnell noch billig vonstatten gehen würde. All seine neugierigen Fragen über sie und Rillieux ... die ganze Zeit über hatte sie ihre gesamten Hoffnungen auf ihn gesetzt, und wofür? Für nichts und wieder nichts. Womöglich würde ja sogar noch mehr auf sie zukommen als nur ihr Verlust an Zeit und Geld.
    Erneut dachte Mystere an ihren Brief zu Hause, an seinen seltsamen, faszinierenden Briefkopf - an ihre verzweifelte Hoffnung, Bram ausfindig zu machen und vielleicht sogar ein großes Vermögen zu erben. Sie konnte ihren rechtmäßigen Anspruch jedoch nicht geltend machen, wenn sie nicht zunächst ihren Familiennamen herausfinden würde. Bram hatte ihr so viel erzählt, diesen jedoch hatte er verschwiegen - warum?
    Sie verspürte ein merkwürdiges Kribbeln, und erinnerte sie sich an das, was Rillieux an jenem Abend in der Kutsche auf ihrem Weg zum Sanford-Ball beinahe gesagt hätte: Es liegt in deiner Familie. Sie hatte geglaubt, dass es sich dabei lediglich um einen einfachen Versprecher gehandelt hatte. Sie hatte keine Idee, warum er das beinahe gesagt hätte. Plötzlich jedoch fragte sie sich, ob er nicht vielleicht irgendetwas wusste, das er ihr verheimlichte. Und wenn das der Fall sein sollte, so würde die bloße Ironie des Ganzen sie an den Rand des Wahnsinns treiben. Sie hatte heimlich die ganze Welt nach Informationen über Bram abgesucht, und womöglich hätte sie diese die ganze Zeit über schon zu Hause finden können - zurückgehalten aus Gründen, von denen sie wusste, dass es keine guten sein konnten.
    Erneut erschreckte sie die Stimme des Kutschers. »Toller Ausblick, was, Lady? Ich hab einen Cousin, der bald hier ganz in der Nähe bauen will. Ein Abteilungsleiter«, fügte er stolz hinzu. »Auf seinem Teller werden se keinen Maisbrei finden, das garantier ich Ihnen.«
    Er hatte sein Pferd oben auf dem luftigen Kliff gezügelt, das den East River überragte und der High Street ihren Namen gab. Der Ausblick im Sonnenschein des späten Morgens war atemberaubend.
    Sie schaute über den überfüllten Fluss und sah Jungen unter dem Manhattan-Turm der Brücke spielen, insektengroß, von dort aus gesehen, wo sie stand, genauso wie die Tagelöhner, die schwere Fischfässer über die Docks rollten.
    Sie konnte den stolzen Turm der Trinity Church sehen, das achtstöckige Equitable Building auf dem unteren Broadway, die massiven Bögen der Brücke ... all dies zum Himmel greifende Erhabenheit und Reichtum. Sie konnte jedoch ebenso die schiefen Mietskasernen im Hafenviertel des East River sehen, jede einzelne von ihnen so schlecht gebaut, dass sie sich an das Nachbarhaus lehnen musste, um nicht umzufallen. Und es war nicht länger nur die Lower East Side - der Schatten der Slums hatte sich inzwischen auch über einen Großteil der Ost- und der Westküste Manhattans gelegt; menschliche Wesen »wie Maden in Käse gestopft«, wie ein schockierter Reformer die Bevölkerungsdichte Manhattans beschrieben hatte.
    Es war jedoch keine Reform, die sie momentan beschäftigte; unter Rillieux’ strenger Herrschaft hatte sie nicht die Möglichkeit, gute Werke zu tun. Angesichts dieser dunkleren Seite der Metropole wurde sie plötzlich wieder durch die alten Unsicherheiten und Ängste gelähmt, denn in Wahrheit war es nur sehr viel weniger als eine halbe Meile, die sie von entsetzlicher Verderbtheit trennte.
    Eine entsetzliche Verderbtheit, die sie wie ihre Westentasche kannte.
    Sollte es ihr nicht irgendwie gelingen, von niemand anderem mehr abhängig zu sein als von sich selbst, so würde die Gefahr der Armut weiterhin über ihr schweben. Es war lediglich die Laune eines Mannes, die sie zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens von einer Katastrophe trennte; sie war nur eine reißerische Schlagzeile entfernt davon, eine dieser verzweifelten Frauen zu werden, die man überall

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