Diebin der Nacht
Geizhals, hätte sie ihm am liebsten an den Kopf geworfen.
»Und dann dein kleines Spielzeug von gestern Abend«, wütete er weiter. »Wenn man den Nennwert betrachtet, nun ja, dann ist die Nadel schon was wert. Von Holzer jedoch werden wir höchstens vierzig Dollar dafür bekommen.«
Rillieux machte eine Pause und stützte sich stärker auf seinem Stock ab, als ob sie buchstäblich zu einer untragbaren Last geworden wäre. Hush wählte diesen Moment, um zu versuchen, die Stimmung seines Meisters zu heben. Er reichte ihm die Brieftasche, die er am Morgen gestohlen hatte, als er für Mystere Detektiv gespielt hatte. Das hatte jedoch lediglich den unvorhergesehenen Effekt, Rillieux’ Schimpfkanonade noch mehr Nährstoff zu geben.
»Da, siehst du’s?«, wandte er sich an Mystere, als er ein imposantes Bündel Geldnoten aus der Brieftasche zog. »Gott sei Dank hat der Junge deine Nachlässigkeit wieder gutgemacht, Mystere, ansonsten wären wir inzwischen wohl schon aus unserem Haus hinausgemahnt worden. Und verstehst du, was eine Zahlungsaufforderung für uns bedeuten würde? Das wäre eine völlige öffentliche Entlarvung unserer kunstvoll aufgebauten Fassade.«
»Du hast ja Recht«, räumte sie ein. »Ich verspreche dir auch, es an diesem Samstag in der Oper besser zu machen.«
»So gefällst du mir«, stimmte er ihr zu.
Er hatte völlig Mrs. Astors jährlichen Opernball vergessen, und Mysteres reuiger Ton schien seinen Zorn ein wenig zu mäßigen. Der Ope rn ball war nicht nur eine Möglichkeit, Paul einen Knochen hinzuwerfen - er war wieder einmal eine Gelegenheit, den Druck auf Lady Moonlight zu vermindern, denn der Kreis der Verdächtigen würde im Opernhaus sehr viel größer sein. Und mit Sicherheit konnte man nicht sämtliche Damen durchsuchen.
Obwohl er nun ein wenig beschwichtigt war, hatte Rillieux doch seine Ermahnungen noch nicht beendet. Er schob die Geldscheine in seine Westentasche und steckte den Gehstock unter einen Arm. Mit einer Faust schlug er auf die Handfläche der anderen Hand, um seinem Standpunkt Nachdruck zu verleihen.
»Mystere, ich erwähne die Gefahr einer öffentlichen Entlarvung nur, weil gerade das ironischerweise die Angst ist, die dich in letzter Zeit so zaghaft werden lässt. Du bist, fürchte ich, zu gut auf die Art und Weise der oberen Gesellschaftsschicht erzogen worden. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass es viel mehr die Schande ist, vor der du dich fürchtest, als die Bestrafung.«
»Mag sein«, gab sie zu, mehr jedoch nicht.
»Natürlich ist das so, in unserem Milieu jedoch müssen solche konventionellen Moralvorstellungen ab und zu beiseite gelassen werden. Missverstehe meine Geduld nicht als Nachgiebigkeit. Und auch die Tatsache, dass du eine Frau bist, ist keine triftige Entschuldigung dafür, schwächlich zu werden. Rose ist nicht nur ein gutes Dienstmädchen, sie hält auch ein wachsames Auge und Ohr auf die alltäglichen Begebenheiten in dieser Gegend, und obendrein bringt sie ab und zu ein paar Stücke mit nach Hause. Du musst dir deinen Lebensunterhalt in dieser Familie verdienen, wie jeder andere das auch tut.«
Sie konnte nicht anders, als sich so lange auf ihre Unterlippe zu beißen, bis sie Blut schmecken konnte. Seine Worte machten sie wütend. Sich ihren Lebensunterhalt verdienen? In den letzten drei Monaten hatte sie allein mindestens fünftausend Dollar in den Haushalt eingebracht, vielleicht nicht gerade das Unterhaltsgeld der Vanderbilts, aber eine schöne Summe in einer Zeit, wo Arbeiter ihre Familien irgendwie mit dreihundert Dollar im Jahr über Wasser halten mussten.
Natürlich gelangte einiges aus dieser Beute nie in die Familienkasse. Die meisten gestohlenen Gegenstände wurden draußen in der Remise versteckt, bis sie zu Heizers Tamungsbetrieb gebracht wurden, einem riesigen Sammelgutlagerplatz unten auf der Water Street. Auf diese Weise würden Evan und Baylis die Sündenböcke sein, falls das Ganze irgendwann einmal auffliegen sollte.
Rillieux hatte jedoch heimlich Bargeld und ein paar Gegenstände von besonders hohem Wert beiseite geschafft und in einen Tresor in seinem Schlafraum eingeschlossen. Nur ein einziges Mal hatte sie einen flüchtigen Blick auf den Inhalt werfen können. Unter diesen Dingen befand sich ein wunderschönes Diamantendiadem, das sie in diesem Frühjahr gestohlen hatte - eines der ersten Bravourstücke der Lady Moonlight.
»Du musst aufhören, dir über Recht und Unrecht unserer Unternehmungen Gedanken zu
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