Diebin der Nacht
ihrer Unterrichtsstunde bestanden hatte - Hushs Bericht hatte ihre Hoffnungen auf eine gute Laune zunichte gemacht.
»Du sagst, dass er ziemlich viel trinkt?«, fragte sie nach.
»Und ob! Der säuft wie ein Loch.«
Ja, dachte sie, dieses Loch kenne ich - es ist dasselbe, in das seit Monaten mein Geld hineinläuft.
»Hast du seine Frau gesehen?«
Er nickte. »Sie ist zum Bäcker gegangen.«
»Gegangen ?«
»Klar, war ja nur über die Straße rüber.«
»Du hattest nicht den Eindruck, dass sie krank war?«
»Nee. Dick und gesund.«
Hush beobachtete, wie Sorge sich auf ihrem Gesicht abzuzeichnen begann. Er wollte ihr etwas sagen, das sie aufheite rn sollte. Also erzählte er ihr davon, wie er die Buchstaben auf dem Schild der Alibi Bar herausgefunden hatte und wie er das r erraten hatte. Das konnte ihr in der Tat ein Lächeln entlocken.
»Wie schön für dich«, sagte sie geistesabwesend zu ihm. »Du musst üben, sooft du die Möglichkeit dazu hast.«
Ihre Gedanken waren in diesem Moment in ein wirres Durcheinander übergegangen. Sie versuchte noch immer, die Vorkommnisse des vergangenen Abends auf dem Ball zu begreifen. Und dann war da Hush mit dieser endgültigen Bestätigung ihrer Befürchtungen gekommen. Gewisse Vorkommnisse spitzten sich eindeutig zu, und sie fühlte sich von ihnen überrollt und hinweggespült, wo sie doch eigentlich nur verzweifelt versuchte, irgendwie die Kontrolle zu gewinnen.
Eine hoffnungsvolle Nachricht zumindest gab es. Wie sie inständig gehofft hatte, hatte Beiloch nichts über die Krawattennadel verlauten lassen, die sie ihm am Abend zuvor gestohlen hatte. Es gab keine neue Flut von Geschichten über Lady Moonlight in den aktuellen Tageszeitungen - zumindest nicht in der Sun, der World, dem Herold und der Independent, die Baylis wie üblich zusammen mit der angeseheneren Times für Rillieux’ rituelle Morgenlektüre gekauft hatte.
Unglücklicherweise wurde jedoch ein Teil der Lücke, die dadurch in der Lady-Moonlight-Sache entstanden war, mit weiterem spekulativem Klatsch über sie und Rafe Belloch angefüllt. Lance Streeter, der ungemein beliebte Klatschexperte des Herald, fragte provokativ in einem seiner Artikel: »Was genau passierte nun in dieser Gartenlaube? Wird dieser pas de deux in einer Hochzeit oder in einem vernichtenden Skandal enden? Die Unschuld einer Dame mag noch intakt, trotzdem aber plötzlich umstritten sein.«
Als ob das nicht schon schmerzvoll genug für sie gewesen wäre, hatte Streeter - der so mächtig war, dass er Mrs. Astor oftmals namentlich aus dem Hinterhalt beschießen konnte - sogar eine neue Kolumne mit dem Titel »In der Gartenlaube« ins Leben gerufen. Er versprach darin, dass der wissbegierige Leser in die privaten Liebesnester der Reichen und Berühmten hineingeführt werde.
Sie wollte gerade Hush zur Vorhalle hinüberbegleiten, als Rillieux plötzlich die Teakholztür des Salons aufstieß und ihnen den Ausgang versperrte. Sein Gesicht war rot vor Zorn, und sie konnte auf der Stelle erkennen warum: Seine linke Hand umklammerte ihre monatlichen Rechnungen. Das Bezahlen von Rechnungen versetzte ihn immer in eine verdrießliche Stimmung.
»Junge Frau«, begrüßte er sie ohne Vorwarnung, »ich habe deine Extravaganzen satt, hast du mich verstanden? Das ganze Geld, das ich dir gebe, und trotzdem lässt du noch auf meinen Namen anschreiben? Von nun an wirst du dich nach der Decke strecken müssen.«
Er gehörte nicht zu denen, die Unterbrechungen duldeten, wenn sie wütend waren, folglich ließ Mystere seinen cholerischen Anfall geduldig über sich ergehen und wartete ab, bis die Schimpfkanonade vorüber war. Am vorangegangenen Abend hatte er eiskaltes Schweigen bewahrt, nachdem sie ihm die Goldnadel anstelle der erwarteten Brosche überreicht hatte. Nun jedoch explodierte er und ließ dabei die dunklere, bedrohlichere Seite seiner Persönlichkeit erkennen.
»Glaubst du vielleicht, die Sahne, die du heute Morgen über deine Erdbeeren gegeben hast, ist kostenlos zu deinem Vergnügen geliefert worden? Dieser Junge hier« - er nickte in Hushs Richtung - »wird neue Lakaien-Uniformen benötigen, wenn er zu uns kommt, und zwar mit unserem aufgeprägten Familienwappen. Hast du überhaupt eine Ahnung davon, was es kostet, Baylis als unseren Kutscher auszustatten und ein Pferdegespann mit Kutsche zu unterhalten? Oder einen Schlägertypen wie Evans in gute Anzüge und Wäsche zu kleiden?«
Du bezahlst aber keinem von ihnen einen Lohn, du alter
Weitere Kostenlose Bücher