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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meagan McKinney
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in jedem Falle würde zuerst die ermüdende, würdelose Prozedur mit den Leinenwickeln erfolgen müssen.
    »Wenigstens hast du Erinnerungen, ob nun gute oder schlechte«, betonte sie. »Ich denke, das ist immer noch besser, als gar keine zu haben.«
    »Zweifelsohne. Ich erinnere mich daran, dass auf dem Lande alles ziemlich trostlos war zu der Zeit, als ich ’63 hier rüberkam - keine Zukunftsperspektiven für die jungen Leute, was auch der Grund dafür war, dass meine Eltern mich herschickten. Ich bin direkt nach Five Points gegangen, wo ich einen Onkel hatte. Der war aber schon an der Cholera gestorben. Das ist übrigens ein weiterer Grund, warum sie uns hier so hassen, weißt du - man kann die Cholera schließlich nicht verleugnen, die einige von uns mit rübergebracht haben.«
    »Und wenn auch, es waren doch hauptsächlich Iren, die daran gestorben sind.«
    »Ja, möge Onkel Liam in Frieden ruhen. Mystere, Five Points ist noch immer ein rauer Ort, aber ’63 bedeutete er für Kinder Verderbtheit und Tod, vor allem für die, die keine Familien hatten. Wenn Paul mich nicht aufgenommen hätte, hätte ich so sicher wie das Amen in der Kirche dran glauben müssen.«
    Mystere wusste, dass Rose das nicht absichtlich sagte, um ihr Schuldgefühle einzureden. Ihre Bemerkung erinnerte sie jedoch eine an ihre rebellischen Pläne. Rillieux hatte sie und Bram ebenfalls gerettet - unglaublich, wie undankbar sie dafür war.
    In ihrem Inneren verteidigte ihr kühnes neues Selbst energisch die persönliche Freiheit, und Bram war genau der Grund, warum sie ihre Freiheit brauchte und warum sie außerdem diesen Betrüger Lorenzo Perkins loswerden musste. Sie brachte Rillieux so viel ein - sie würde also anständig leben und trotzdem noch eine gründliche Suche nach Bram finanzieren können, wenn sie nur ein wenig von dem Geld für sich behalten könnte.
    Geld ... ohne es zu wollen, musste sie plötzlich an Antonias makellosen Smaragd denken, der genau den gleichen weichen, taugrünen Farbton hatte wie Brams Augen. Sie war nicht übertrieben abergläubisch, kam jedoch nicht umhin sich zu fragen, ob dieser Ring nicht vielleicht dazu bestimmt war, ihre Willenskraft anzuspomen. Für Antonia war er lediglich ein Vorzeigeschmuckstück, für Mystere jedoch könnte er die Unabhängigkeit bedeuten, die sie benötigte, um mit ihrer überaus wichtigen Suche fortzufahren.
    »Versuche, dich ein wenig zu beeilen«, erinnerte Rose sie sanft, als sie in Richtung Tür ging. »Es muntert ihn immer auf, wenn er mit dir zusammen frühstücken kann. Er mag dich so sehr.«
    »Er mag uns alle«, räumte Mystere ein. »Vielleicht ist ja gerade das unser Problem.«
    Rose wollte schon antworten, gab dann jedoch ihr Vorhaben wieder auf und versteckte sich hinter ihrem gewissenhaften Dienstmädchengesicht.
    »Rose?«, konnte Mystere gerade noch sagen, bevor die Tür zuging.
    Roses Kopf kam um die Türkante herum wieder zum Vorschein. »Ja?«
    »Ich ... ich wollte nur sagen, dass es nicht meine Idee ist, dass Paul und ich so vornehm leben und uns bedienen lassen.« Mystere wusste Bescheid über die engen Kämmerchen auf dem Dachboden, die für die Dienerschaft bestimmt waren - stickig im Sommer und unbeheizt im Winter. Und sie nahmen alle Mahlzeiten im Gesindespeiseraum im Untergeschoss ein. Rillieux bestand darauf, und zwar mit der Begründung, dass diese List für ihr Täuschungsmanöver unerlässlich sei.
    »Vergiss das alles mal schnell wieder«, sagte Rose missbilligend. »Mein Zimmer ist trocken und sauber und hat ein Schloss an der Tür. Wir essen alle gut, und Paul missgönnt uns nicht einmal unsere freie Zeit. Er schlägt zwar gelegentlich die Jungen, aber die sind das doch gewohnt und hätten wohl auch kaum Respekt vor ihm, wenn er es nicht tun würde.«Ihre Augen sahen plötzlich traurig aus, als würde sie an den Vorfall denken, bei dem Mystere Schläge bekommen hatte. »Mich hat er nie geschlagen«, brachte sie vor, als ob dies eine Art Entschuldigung wäre. »Und mal ganz abgesehen von alldem - du hast keine besonderen Privilegien, die du dir nicht auch hart verdient hast. Das Risiko, das du auf dich nimmst... alle Achtung! Mach dir lieber Gedanken über dein eigenes Schicksal, denn er ist inzwischen ganz schön abhängig geworden von ... nun, egal, ich muss weiter. Ich bete für dich, Mystere, und ich empfinde keinen Neid oder Groll, überhaupt keinen.«
     
    Mystere gesellte sich für ein angenehmes Frühstück in dem sonnendurchfluteten Raum

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