Diebin der Nacht
zurück.«
Während ihrer bemerkenswerten Beichte schien sich die Härte in seinen Augen zu mildem. Auf seinem Kinn trat ein Muskel hervor, ganz so, als würde er über irgendetwas Unangenehmes nachdenken. »Ich hatte es Ihnen doch schon gesagt, dass Sie und ich uns ähnlich sind. Ich kann die >oberen Vierhundert nicht ausstehen, wenn ich auch zu ihnen gezählt werde. Sie sind nichts weiter als die verhätschelten Lieferanten der Scheinheiligkeit. Und ich verachte sie mehr als alle anderen Menschen auf der Welt.«
»Und doch schauen Sie gerade durch mich hindurch, als wäre ich eine schmutzige Glasscheibe«, sagte sie sanft.
Sein Blick schweifte hinunter auf ihren fast nackten Körper. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte es beinahe den Anschein, als würde er sich selbst züchtigen. Leise fragte er: »Wer sind Sie nun wirklich? Ist Ihr Name tatsächlich Mystere Rillieux?«
»Mein Name ist Mystere, das ja, aber - aber Rillieux ist angenommen.«
»Und der alte Mann - er ist kein Verwandter?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und wie lautet nun Ihr Nachname?«
»Ich weiß es nicht. Entweder habe ich ihn nie gekannt, oder ich habe ihn vor langer Zeit schon vergessen, meinen Familiennamen.«
Er schüttelte den Kopf, während er aufstand, zu seinem Tisch hinüberging und das Messer weglegte. »Sie machen
Ihrem Namen alle Ehre.« Er drehte sich zu ihr um. Beinahe widerwillig warf er ihr ein türkisches Kaschmirplaid von einem in der Nähe stehenden Stuhl zu. »Verhüllen Sie sich also, aber enthüllen Sie mehr von Ihrer Vergangenheit.«
Sie wickelte das Plaid um ihre Schultern und hielt die Enden vor ihrer Brust zusammen. Langsam unterbreitete sie ihm ihre Geschichte, von ihren frühesten Erinnerungen in Dublin bis hin zu den fürchterlichen Jahren im Waisenhaus in der Jersey Street und weiter zum Verschwinden Brams und ihrer unehrenhaften »Befreiung« durch Paul Rillieux.
Ständig stellte er Fragen und schien nach Lücken in ihrer Geschichte zu suchen. Nachdem sie geendet hatte, sagte er eine sehr lange Zeit nichts. Er starrte sie nur an, studierte sie, als ob sie etwas wäre, das er noch nie zuvor gesehen hatte.
Schließlich murmelte er langsam: »Sie haben mich vom ersten Moment Ihres Eintrittes in die Gesellschaft an fasziniert. Die Insignien auf Ihrem Brief - vielleicht messen Sie ihnen zu viel Wert bei. Wer auch immer ihn geschrieben hat, er könnte genausogut ein Bediensteter gewesen sein, der das Briefpapier seines Arbeitgebers entwendet hatte - das ist ziemlich weit verbreitet. Außerdem missbrauchen Drucker oft ohne Genehmigung Wappeninsignien, denn es ist nicht strafbar und macht ihr Briefpapier ansprechender für die Massen. Vergessen Sie nicht, die Granvilles sind eine alte, etablierte Familie, und es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es irgendwelche unbekannten Anspruchsteller auf ihren Namen gibt.«
Seine lässige Bemerkung zerstörte ihre Hoffnungen vollends, denn er sprach zweifelsohne mit großer Autorität und gesundem Menschenverstand. Sie konnte jedoch kaum noch stehen, geschweige denn ihre Gedanken sammeln. Das Martyrium des Abends hatte einen harten Zoll von ihr gefordert - sie zitterte sichtbar, und das nicht nur vor Kälte.
»Kommen Sie näher ans Feuer heran«, murmelte er und nahm sie bei der Hand. Er setzte sie auf eine kunstvoll geschnitzte Chaiselongue, die an einer Seite des Kamins stand, dann setzte er sich direkt neben sie.
»Sie wissen, dass Sie nicht fortfahren können, Lady Moonlight zu sein«, sagte er. »Das ist zu gefährlich.«
Sie stieß ein bitteres Lachen aus. »Sie klingen fast, als würde es Ihnen etwas ausmachen.«
»Ich will nicht, dass es mir etwas ausmacht, aber Sie bringen mich dazu.«
Sie erwiderte seinen Blick. »Ich habe Antonias Ring genommen, um mich dadurch von Rillieux zu befreien. Wenn ich nun vor Ihnen fliehen muss -«
»Sie brauchen nicht zu fliehen.« Seine Augen wurden wärmer.
Sie schüttelte den Kopf. »Rillieux wird die Ehe verlangen.« Sie starrte ihn unverwandt an. »Und ich werde es ebenfalls tun«, flüsterte sie.
Er warf seinen Kopf zurück und lachte.
Wut stieg in ihr auf. »Ist das denn so lächerlich?«
Vor lauter Lachen war er kaum in der Lage, ihr eine Antwort zu geben.
Sie wandte sich von ihm ab. »Sie behaupten, die >oberen Vierhundert zu hassen, aber schauen Sie sich doch nur selber an, Sie sind genauso hochmütig wie der ganze Rest. Und warum sollten Sie es auch nicht sein? Selbst wenn Sie sie verschmähen - und
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