Diebin der Nacht
ein Zimmer. Eine Kriminelle aber verdient eine Zelle.«
Die Frau war offensichtlich erschrocken über diese Neuigkeit, als ob Kriminalität das letzte sei, was sie sich bei dieser jungen, elegant gekleideten Frau vorstellen konnte.
»Auf alle Fälle hat sie aber einen Unfall gehabt«, fügte er hinzu und zog seine Jacke von Mysteres Schultern. »Glauben Sie, dass eine Ihrer Hexensalben das heilen könnte, oder soll ich lieber einen Arzt kommen lassen?«
Ruth untersuchte die Wunde, nachdem Rafe das Taschentuch entfernt hatte. Sie sagte mit Überzeugung: »Ich kann mich darum kümmern, Sir. Keinen Grund, den Arzt kommen zu lassen.«
Rafe lachte. »Ich werde Sie dann also weitermachen lassen, Ruth«, fügte er hinzu. »Ist Sam noch auf?«
«Er ist in seinen Räumen und liest, Sir. Ich hatte ihm gerade eben ein wenig Kakao gebracht.«
Ruth warf einen letzten, unsicheren Blick auf Mystere und verschwand dann irgendwo im dunklen Inneren des großen Hauses. Rafe, der Mysteres Handgelenk so fest hielt, dass es schmerzte, führte sie zu einem engen Treppenhaus, von dem aus man anscheinend in die Küche gelangte.
»Lassen Sie mich Ihnen Ihr späteres Quartier zeigen«, machte er sich in korrektem und höflichem Ton über sie lustig, als wäre er ein Gastwirt und sie ein Gast. Er entlieh sich einen vierarmigen Kerzenleuchter aus seinem Ständer neben der Treppenhaustür.
Das Licht vor sich nach vom haltend führte er seine widerwillige Gefangene nach unten in ein feuchtes, düsteres Gemach, das sie nur als Verlies bezeichnen konnte. Das Licht warf sich verändernde Schatten auf die Wände aus kaltem, grauem Gestein. Überall hingen Spinnweben.
»Geben Sie Acht auf Ratten«, warnte er sie und musste grinsen, als sie daraufhin näher an ihn heranrückte.
Vor einer Eisentür mit abgedecktem Guckloch blieb er stehen und schob die Klappe beiseite.
»Werfen Sie einen kurzen Blick hinein«, forderte er sie vergnügt auf. »Direkt unter der Decke befindet sich ein Gitter, das Mondlicht hereinlässt. Wäre das nicht passend für eine nächtliche Plünderin, wie Sie eine sind?«
»Sie würden es nicht wagen, mich hier einzusperren«, protestierte sie, während sie ihre Angst durch Kühnheit überspielte. »Sie haben absolut kein Recht, so etwas zu tun.«
»Oh, es wird nicht nötig sein, wenn Sie kooperieren. Ansonsten werden Sie den Rest der Nacht hier unten verbringen - ein wenig Hausarrest, sozusagen, damit Sie Ihr Gewissen prüfen können. Wenn Sie dann jedoch auch weiterhin nicht kooperieren wollen, so werden Sie sehr viel länger hier bleiben, mit Recht oder ohne.« Er lächelte und wies auf das Guckloch. »Kommen Sie schon, schauen Sie hinein.«
Sie brachte ein Auge zum Guckloch hinunter und erblickte eine kahle Steinzelle mit lediglich einem dünnen, aus schäbigen Fetzen geflochtenen Läufer, der einen Teil des Bodens aus festgestapfter Erde bedeckte. Das »Bett« bestand aus einem schmalen, hölzernen Brett, das aus einer der Wände herausragte.
»Ich nehme an, Sie können erraten, wofür der Eimer in der Ecke bestimmt ist«, bemerkte er, woraufhin sie schnell wieder wegschaute.
»An diesem Ort wurden während des Krieges rebellierende Spionageagenten festgehalten«, erklärte er ihr. »Meist waren es weibliche Spione, die für... spezielle Befragungen hier hergeschickt wurden, so könnte man es nennen. Vielleicht nicht unähnlich der Erfahrung, die Sie bald machen werden.«
»Das können Sie nicht tun«, stieß sie voller Verachtung gegen ihn aus, obwohl noch immer Angst ihre Knie wie ein regengetränktes Kätzchen zittern ließ.
»Nein?« Er gab ihr ein Zeichen, ihm zu dem engen Treppenhaus zu folgen. »Dann überzeugen Sie mich doch auf eine andere Weise. Ich würde Sie auch viel lieber in Seidenlaken sehen als in diesem abscheulichen Verlies.«
Ein Schauder lief ihr bei dieser Bemerkung den Rücken hinunter. »Und wie wär’s mit Gnade, Mr. Beiloch?«
»Ich habe doch die Polizei nicht über Sie informiert, oder? Auch die Presse nicht. Das ist doch wohl Gnade genug. Ihre Vertrauensbrüche bleiben unser kleines Geheimnis.«
»Ich verstehe.«
Er grinste. »Ich bin nicht der verrückte Lüstling, für den Sie mich halten. Ah, hier sind wir.«
Er stieß die Tür eines prachtvollen Salons mit hohen, schmalen Fenstern und wollenen Vorhängen auf. Sie erblickte dunkle Eichenmöbel, aus Rosenholz geschnitzte Bücherregale mit ledereingebundenen Bänden und mit einem Fries versehene Wände, an denen
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