Diener der Finsternis
denken.«
»Ich weiß es, aber Sie sind so ahnungslos, daß Sie mich für vollkommen schamlos oder für verrückt halten. Sie sind an nette englische oder amerikanische Mädchen gewöhnt, die keinen anderen Gedanken im Kopf haben, als wie sie Sie dazu bewegen können, sie zu heiraten – falls Sie Geld haben, was offensichtlich der Fall ist. Mich interessiert so etwas nicht. Ich habe gearbeitet und studiert, um Macht zu erlangen, wirkliche Macht über Leben und Geschicke anderer Menschen, und ich weiß, daß der einzige Weg dorthin über die vollständige Hingabe führt. Ich erwarte nicht, daß Sie meine Gründe verstehen, doch das ist der Grund, weshalb ich heute nacht zu dem Treffen gehen werde.«
Rex betrachtete ihr Gesicht. Er glaubte immer noch, daß sie nicht genau wußte, welche Scheußlichkeiten bei dem Sabbat stattfinden würden. »Wie lange ist es her, daß Sie in diese Dinge verwickelt wurden?« fragte er.
»Ich war schon als Kind parapsychisch begabt«, antwortete sie. »Meine Mutter ermutigte mich, von meiner Gabe Gebrauch zu machen. Als sie starb, schloß ich mich einer spiritistischen Gesellschaft in Budapest an, weil ich mit ihr in Verbindung bleiben wollte.«
»Für ein junges Mädchen wie Sie ist die Beschäftigung mit solchen Dingen doch etwas ganz Ungewöhnliches. Sie sollten ausgehen, tanzen, Golf spielen, sich des Lebens erfreuen. Sie sind so hübsch, daß Sie unter den jungen Männern nur zu wählen brauchen.«
Sie zuckte verächtlich die Schultern. »All das ist langweilig. Für mich von Bedeutung sind einzig die Lehren über den Weg der Macht. Dafür lohnt sich jede Mühe, und ich werde heute nacht alle Skrupel vergessen.«
»Haben Sie nicht – nicht ein bißchen Angst?«
»Nein. Denen, die dem Pfad folgen, kann nichts geschehen.«
»Es ist aber ein Pfad des Bösen.«
Tanith antwortete, als sage sie eine auswendig gelernte Lektion auf. »Unglücklicherweise befassen sich die Jünger des Pfads zur Rechten nur mit dem Glück des Universums im allgemeinen, während diejenigen, die den Pfad zur Linken wandeln, konkrete Macht über ihre Mitmenschen ausüben. Menschen dem eigenen Willen zu unterwerfen, ihren Aufstieg oder Fall zu verursachen, ihnen Hindernisse in den Weg zu legen oder ihnen zu strahlendem Erfolg zu verhelfen – das ist mehr als Reichtum, mehr als Ruhm –, das ist der höchste Gipfel, auf den ein Mensch gelangen kann, und ich wünsche ihn zu erreichen, bevor ich sterbe.«
Rex schüttelte bekümmert den Kopf. »Sie sind jung und schön, alle Freuden des Lebens liegen noch vor Ihnen. Warum wollen Sie die Entscheidung nicht für ein oder zwei Jahre aufschieben und erst darüber nachdenken? Es ist schrecklich, daß Sie wie eine desillusionierte alte Frau sprechen.«
Ihre Lippen preßten sich zusammen. »Auf gewisse Weise bin ich das auch. Und ich kann nicht warten. So sicher, wie die Sonne heute abend untergeht, werde ich das nächste Jahr nicht mehr erleben.«
XIII
Rex starrte Tanith ungläubig an. »Das ist nicht wahr! Sie können noch fünfzig Jahre leben. Dieser Teufel Mocata hat Ihnen auf verbrecherische Weise irgendeinen Unsinn eingeredet.«
Tanith schien den Tränen nahe zu sein. »Wenn die Dinge anders lägen, hätte ich Sie sehr gern, Rex. Aber ich wußte, daß meine Tage gezählt sind, lange bevor ich Mocata begegnete. Man kann nichts dagegen tun.«
Rex schwieg. Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Tanith drückte ihm die Hand und lächelte traurig. »Jetzt verstehen Sie, warum mir Liebe und Freundschaft und alle Dinge, die sich auf die Zukunft beziehen, nichts bedeuten.«
»Das ist also der Grund, daß Sie sich in diese schreckliche Geschichte eingelassen haben?«
»Ja. Weil ich schon bald sterben muß, bedeutet mir ein normales Leben nichts mehr, und was mit meinem Körper geschieht, kümmert mich nicht. Vor zehn Monaten habe ich begonnen, meine parapsychische Begabung unter fachmännischer Anleitung auszubilden, und die Reisen, die ich in Raum und Zeit unternehmen kann, sind das einzige, was mir Befriedigung gewährt.«
»Trotzdem will es mir nicht in den Kopf, daß Sie heute abend an dem satanischen Fest teilnehmen wollen.«
»Es wird eine außergewöhnliche Erfahrung sein.«
»Jeder normale Mensch würde Abscheu empfinden oder sich zu Tode fürchten.«
»Nun, ich will zugeben, daß ich schon ein bißchen Angst habe, aber nur, weil ich zum erstenmal dabeisein werde. Meine Hingabe wird in Schmerz oder Lust auch nichts anderes sein,
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