Dienstanweisungen für einen Unterteufel
Mäßigkeit zu üben. In einem überfüllten Restaurant stößt sie einen leisen Schrei des Entsetzens aus angesichts der Platte, die eine übermüdete Kellnerin vor sie hinstellt, und sagt: „Oh, das ist viel zuviel! Nehmen sie doch das bitte wieder mit und bringen sie mir etwa den vierten Teil davon!“ Darüber zur Rechenschaft gezogen, würde sie sagen, sie tue das nur, um Verschwendung zu vermeiden. In Wirklichkeit aber handelt sie so, weil die besondere Empfindlichkeit, zu deren Sklavin wir sie gemacht haben, beim Anblick einer größeren Menge Speise, als sie im Moment zu haben wünscht, verletzt ist.
Der wahre Wert der stillen, unauffälligen Arbeit, die Glubose während der letzten Jahre an diese alte Frau gewendet hat, kann an der Art und Weise gemessen werden, in der ihr Magen heute ihr ganzes Dasein beherrscht. Die Frau befindet sich in einem Geisteszustand, den wir den „Alles-was-ich-wünsche-Zustand“ nennen könnten. Alles, was sie wünscht, ist eine Tasse Tee, richtig zubereitet, ein Ei, drei Minuten gekocht, ein Stück Brot, richtig geröstet. Sie findet aber nirgends einen Diener oder Freund, der diese einfachen Dinge „richtig“ machen könnte. Denn ihr „richtig“ verbirgt ein unersättliches Verlangen nach raffiniertem und fast unmöglich erfüllbarem Gaumenkitzel, woran sie sich von früher her noch zu erinnern einbildet. Dieses „früher“ wird von ihr beschrieben als „die Zeit, da noch gute Dienstboten zu finden waren“. Uns aber ist dieses „früher“ bekannt als die Tage, da ihre Gefühle leichter zu befriedigen waren und sie, da sie Freuden anderer Art besaß, nicht so sehr von denjenigen des Essens abhing. Inzwischen verursachen die täglichen Enttäuschungen auch eine tägliche Mißstimmung: Köchinnen kündigen, Freundschaften kühlen sich ab. Sollte je der Feind den leisesten Verdacht in ihr aufsteigen lassen, daß sie sich zu sehr mit dem Essen befaßt, so ist Glubose zur Stelle, ihr dagegen einzuflüstern, ihr selbst liege ja nichts an dem, was sie esse, aber „sie liebe es, ihrem Jungen alles schön und nett zu machen“. In Wirklichkeit ist natürlich ihre Gier seit Jahren schon einer der hauptsächlichsten Gründe seines häuslichen Unbehagens.
Nun ist Dein Patient der Sohn seiner Mutter. Während Du Deine Kräfte richtigerweise an den andern Fronten bis zum äußersten einsetzst, darfst Du es nicht unterlassen, auch bei ihm ganz sachte eine Infiltration in Richtung Unmäßigkeit vorzunehmen. Da es sich um ein männliches Wesen handelt, wird er sich nicht so leicht durch die „Alles-was-ich-wünsche“-Tarnung fangen lassen. Männer werden am besten durch ihre Eitelkeit zur Schlemmerei verführt. Wir verhelfen ihnen zu der Einbildung, feine Kenner der verschiedenen Speisen zu sein und sich etwas darauf zugute zu halten, das einzige Restaurant in der Stadt gefunden zu haben, wo „Schnitzel“ wirklich „genau“ gebraten werden. Was als Eitelkeit angefangen hat, kann langsam zur Gewohnheit werden. Aber, wie Du immer die Sache auch anfassen magst, die Hauptsache ist, ihn so weit zu bringen, daß ihn die Verweigerung eines Wunsches – es macht nichts aus, welcher Art, sei es Champagner oder Tee, Sole à la Colbert oder Zigaretten – aus der Fassung bringt; denn damit geraten seine Duldsamkeit, seine Gerechtigkeit, sein Gehorsam in Deine Gewalt.
Ein bloßes Übermaß an Speise ist weniger wertvoll als Feinschmeckerei. Ihre geschickte Ausbeutung ist eine Art Artillerievorbereitung für den Angriff auf die Keuschheit. Wie in jeder Hinsicht halte Deinen Mann auch in dieser Sache im Zustand einer falschen Geistigkeit. Niemals lasse ihn die Sache von der medizinischen Seite her ansehen. Lasse ihn darüber nachgrübeln, welcher Hochmut oder welcher Mangel an Glauben ihn in Deine Hände gebracht hat, wo doch die einfache Frage darnach, was er im Laufe der letzten vierundzwanzig Stunden gegessen oder getrunken hat, genügen würde, um ihm zu zeigen, woher Deine Munition stammt, und ihn somit in den Stand setzen würde, mit ein wenig Enthaltsamkeit Deine Verbindungslinien zu gefährden. Muß er unbedingt an die medizinische Seite der Keuschheit denken, dann füttere ihn mit der grandiosen Lüge, die wir im besonderen dem englischen Menschen glaubhaft gemacht haben, daß übermäßige körperliche Anstrengungen und die dadurch bewirkte Müdigkeit für die Keuschheit förderlich seien. Man kann sich wirklich fragen, wie sie angesichts der berüchtigten Lüsternheit von
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