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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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offiziell beglaubigte Verlustmeldung wiegt schwer, sie blechen.
    Ein Nachwort: Der Vorfall liegt nun Jahre zurück und der Verrechnungsscheck ist längst verrechnet. Ein Detail jedoch bewegt mich noch immer: jener Moment, als ich am Meer saß und plötzlich den Pfiff dieses Burschen hörte. Sinnliches Signal der Verführung, ja Erleuchtung. Schade, dass ich nichts weiß von dem Pfeifer. Einen Teil der Beute hätte er verdient.

DER DIEB / Eine Liebesgeschichte
    Klauen ist sexy. Der Kitzel, natürlich. Den das Bürgerliche Gesetzbuch verbietet. Dem Bürger ist der Kitzel verdächtig, er will ihn abschaffen. Ein schwieriges Unternehmen. Billy Wilder hatte das Dilemma längst erkannt. Als er durch seine Filmkamera schaute, stellte er fest: »Tugend ist nicht fotogen, das ist eine Grundregel. Bösewichte interessieren jeden, Volksschullehrer-Fräuleins keinen.« Eine gemeine Wahrheit. Aber immer wahr.
    Ich habe es immerhin zum Dieb gebracht. Nach gewissenhafter Prüfung – über jeden Raubzug wurde Buch geführt – bin ich auf die Summe von 153906 Euro gekommen. In dieser Größenordnung liegt der von mir zu verantwortende Schaden, den ich verschiedenen Mitmenschen auf verschiedenen Kontinenten zugefügt habe.
    Ein eher bescheidener Betrag. Die Summen großer Fische sehen anders aus. Deshalb rechne ich fest damit, dass die Opfer mir vergeben. Damit ihnen die Nachsicht leichter fällt, sollen sie wissen, dass ich für alles hart bestraft wurde. Nicht vom Bürgerlichen Gesetzbuch , sondern von ganz anderen, viel unheimlicheren Kräften.
    Noch etwas, um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen: Gewalt ist nicht sexy, sie macht mir Angst. Nie habe ich sie bei meinen Eskapaden angewendet. Ich wüsste auch nicht, wie. Ich bin ein eher schwacher Mensch, dessen Lieblingsheld Till Eulenspiegel ist. Ein Listiger will ich sein, das schon.
    Dass ich meine Beute mit niemandem teilte, unterschied mich von Till. Das Robin-Hood-Syndrom schlug bei mir nicht an. Ich war ein habsüchtiger Dieb. Ich nahm den Reichen (wem sonst?) und behielt alles für mich. Ohne höhere Moral, ohne ideologischen Auftrag, nur getrieben von der eigenen Not. War die Not endlich vorbei, trieb mich die Sucht nach dem Kick und – so sollte sich nach gewisser Zeit herausstellen – die Gier nach jenem Gut, das ich hemmungsloser begehrte als alles andere.
    Das Seltsame daran: Es ließ sich nicht essen, nicht anziehen, nimmer als Altersvorsorge einsetzen. Nach nur einmaliger Benutzung fiel der materielle Wert dieser Habe beträchtlich. Manchmal sah ich arme Teufel damit auf dem Flohmarkt hausieren. Für fünfzig Cent das Stück schlugen sie los, was einmal vierzig, fünfzig Mal mehr gekostet hatte.
    Das mag ein Außenstehender, einer, der nichts weiß von dieser Gier, nicht begreifen. Was ich über Jahre – manchmal wöchentlich, manchmal täglich – unter ständiger Gefahr der Entdeckung nach Hause schleppte, machte mich nicht gesünder, nicht schöner, nicht wohlhabender. Dennoch wurden aus der jedes Mal kiloschweren Last die einzigen Gegenstände in meinem Leben, die ich hortete. Ich hasse Sammeln. Aber hier war ich hilflos. Was ich zuerst unbewusst ahnte, wurde bald zur schrecklichen und gleichzeitig beruhigenden Gewissheit: Solange ich der Sucht nachgab, fühlte ich mich beschützt. Denn das Fieber – nicht so sehr das Stehlen (das auch!), eher das Genießen der heißen Ware – beschützte mich, genauer: rettete mein Leben.
    Der Sucht war eine Lehrzeit vorausgegangen. Ich lernte das Klauen von der Pike auf. Banal fing es an. Ich wuchs in einem sparsamen Milieu auf, die Mahlzeiten waren schlicht und bisweilen schlicht ungenießbar. Zwischen den Essensausgaben war die Speisekammer verriegelt. Nicht umsonst nannten diejenigen, die mich in der Turnhose sahen, »den Rachitiker«. Mein Brustbein lag wie eine Delle zwischen den Rippen, hässlich verkümmert durch einen konstanten Vitaminmangel. Um mich zu heilen, durchstöberte ich meine Umgebung. Im Speicher des geizigen Hausbesitzers und Erziehungsberechtigten fand ich einen Sack Briefmarken. Einen prallen Zentner voll gestempelter und ungestempelter Marken.
    So lernte ich als Dreizehnjähriger das Wort Mundraub : »Diebstahl von Lebensmitteln zum sofortigen Verbrauch.« Nicht, dass ich die Briefmarken verschlungen hätte, so verhungert war ich nun doch nicht. Nein, ich verschob sie pfundweise. Papier gegen Papiergeld. Und Papiergeld gegen Nahrungsmittel. Ich war umgehend davon überzeugt, dass die

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