Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
aus, suchte nach Indizien, ob ich grundsätzlich als Mann in Frage käme.
Der Fotograf war noch immer ihr Freund, noch immer lieb, noch immer wichtig. Aber er war das, was die Franzosen »mou« nennen, matt, etwas träge. Zudem ein Schweiger. Kein Teilnehmer, kein Widersprecher, kein Sucher. Nie sprach sie gemein über ihn, aber aus ihren Nebensätzen war unschwer zu erraten, was den beiden fehlte. Eben Leidenschaft, crazyness, so ein heftig sprudelndes Gefühl, verliebt zu sein. Die erste bürgerliche Todsünde – ranzige Routine – hatte die zwei bereits infiziert.
Wir beide waren neu füreinander, wir blühten. Eine schwer zu stillende Sucht nach Kommunikation brach aus. Unter dem Deckmantel der Liebe zur Sprache konnte sie das vor sich, so vermutete ich, rechtfertigen.
Wir trafen eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen. Sieben Minuten von ihrer Wohnung entfernt gab es ein Postamt, bei dem sie meine Briefe an sie abholte. Wollte ich sie telefonisch sprechen, ließ ich es einmal läuten. War sie allein, rief sie zurück. Hob der Fotograf ab, war ich der harmlose Alex, ein mit amerikanischem Akzent plappernder Computerfreak, der Celeste ein neues Programm verkaufen wollte. Oder wir faxten. »Früher gab es Liebesbriefe, heute gibt es Liebesfaxe«, kritzelte ich einmal. Sie antwortete nicht, die größeren Wörter waren ihr suspekt.
Kurz nach Mitternacht, schon im Bett liegend, begannen unsere pillow talks . In Paris lagen drei Kilometer zwischen unseren Köpfen, außerhalb von Paris manchmal der halbe Erdumfang. Das Ritual war jedes Mal unaufschiebbar, denn einer von uns hatte tagsüber einen Satz, ein Wort gefunden, worüber jetzt unbedingt geredet werden musste. Bisweilen endeten unsere nächtlichen Diskurse mit dem Geräusch eines blitzschnell aufgelegten Telefonhörers. Der Fotograf war in ihr Schlafzimmer gekommen.
Nach einem dieser Gespräche – ich lag gerade auf einem amerikanischen Kopfkissen – fingen meine Schmerzen an. Ich hatte mich verrechnet. Dass der Fotograf über so ungehinderten Zugang zu ihrem Bett verfügte, verwundete mich plötzlich. Ich hatte mir ursprünglich vorgenommen, ihn zu übersehen, ihm die eher unerotische Aufgabe zukommen zu lassen, sich um den täglichen Grind der Beziehung zu kümmern. Mir wollte ich die Höhepunkte reservieren. Jetzt beschloss ich, den Fotografen zu besiegen. So phantasierte ich.
Ich rannte los. Mit Hilfe der Weltliteratur besang ich ihre Schönheit. Mit Hilfe meiner Versessenheit machte ich ihr den Hof. Wenn ich irgendetwas von dieser Frau begriffen hatte, dann ihr Verlangen nach einem Mann, der verrückt nach ihr war. Ihr Freund war nicht verrückt. Er war nice .
Es fiel leicht, von dieser Frau zu singen. Natürlich bin ich Opfer moderner Schönheitsideale: die glatte Haut, die weiblichen Formen, das schöne Gesicht. Doch davon laufen Heerscharen durch Paris. Aber Schönheit wirft mich erst dann um, wenn hinter dem »visage« ein Hirn fiebert. Wenn in den graugrünen Augen Neugier funkelt, so eine Sucht nach Welt und Wissen und Sprache. Sie hatte das, was ein französischer Schriftsteller »la troisième pensée« nannte: die Fähigkeit, blitzschnell zu kombinieren und aus einem ersten und zweiten Gedanken einen dritten, einen neuen, einen überraschenden, zu formulieren.
So besaßen wir nur noch ein Problem: ihren Argwohn. Sie selbst nannte sich eine »one man woman«, eine Frau, die nur zu einem Mann gehören wollte. »You only«, alle anderen Formulierungen ließen sie kalt. Ich aber, so spottete sie, sähe anders aus, bestimmt nicht wie ein »one woman man«. Ich ging nicht darauf ein. Ich hatte noch immer keine Ahnung von den Abgründen ihrer Angst.
Vier Monate nach ihrem ersten Hi begann mein Siegeszug. Der Fotograf war ohne sie unterwegs und Celeste allein in Paris. Ich entführte sie und fuhr mit ihr auf ein Schloss nach Chantilly-Gouvieu, eine halbe Stunde außerhalb der Hauptstadt. Zwischen den elegantesten Rennpferden der Welt und einem Märchenwald stand ein Hotel, das mir exquisit genug erschien, um in einer der Schlosskammern unsere erste Nacht zu verbringen.
Wir nannten sie später »the blue night«, weil der hellblaue Nachthimmel durchs Fenster leuchtete. Natürlich lagen wir an allen Körperteilen angezogen im Bett. Immerhin ließen wir unsere Lippen frei, so war lange Zeit, um alle in den letzten hundertzwanzig Nächten versäumten Küsse nachzuholen.
Zwei Tage später landete ich in Kabul. Dort schien es nicht gefährlicher
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