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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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nebenbei noch singen konnte. Nach einer Woche entdeckte ich Terence, einen seit vierzehn Jahren durch den Untergrund von Paris ziehenden Musiker aus Nebraska. Schöner, impertinenter Schmalz lag in seiner Stimme. Ich führte ihn von der Metro zurück an die Erdoberfläche und ließ ihn in einem stillen Café vorsingen. Er passte.
    In der Rue Saint-Denis , mitten im Nuttenviertel, fand ich einen Kostümladen. Ich verkleidete den Amerikaner als d’Artagnan, mit schwarzem, weitem Filzhut, Henri- IV -Bart, rotem Wams und goldglänzender Schärpe. Rechts baumelte ein mondäner Degen.
    Zwei Tage später fuhr ich den Mann zu seinem Arbeitsplatz, dem Bürgersteig gegenüber Celestes Wohnzimmerfenster. Etwas Herzbewegendes geschah. Terence fing an, auf seiner Gitarre zu zupfen und wundersam ölig Elvis Presleys » I can’t help falling in love with you« zu seufzen, als nicht nur Celeste ihre Balkontür im dritten Stock öffnete, sondern sieben andere Fenster aufgingen und lauter Frauengesichter zum Vorschein kamen, die alle still und ergriffen zuhörten, wie Terence, der Ritter aus Nebraska, um elf Uhr abends in eine laue Pariser Oktobernacht Elvis’ Liebesschnulze wimmerte.
    Da ich Celeste an diesem Morgen um zwei Dinge gebeten hatte – einen Brief an sie bei unserem Postamt abzuholen und abends zu Hause zu sein –, wusste sie sofort, wer der Auftraggeber von Terence war. Den Brief sollte sie erst lesen, wenn »the hanky-panky« vorbei war. Hanky-panky war unser Deckname für alle Kitzel, die wir uns gegenseitig verschaffen wollten.
    Der Amerikaner verbeugte sich, genoss den von fröhlichem Gekicher begleiteten Applaus und verschwand. Ich sah, von weitem, Celeste das Kuvert öffnen, in dem ein langer Liebesbrief lag. Der schwerwiegendste Absatz darin sprach von einer bestimmten Rasse von Enten, die – einmal zusammen – sich nie wieder trennen. So dramatisch und nach ihr hungernd hatte ich es hingeschrieben. Mein Leben schien jetzt nur ein Ziel zu haben: dieser Frau nah zu sein und ihr die Angst zu nehmen, noch einmal verlassen zu werden.
    Die Idee, dass alles anders war, dass von meinen Mutmaßungen und Kopfgeburten nicht eine stimmte, dass ich auf geradezu groteske Weise etwas vor mir verheimlichte, diese Idee kam mir nicht. Ich schien noch immer nicht stark genug, die Wirklichkeit zu ertragen.
    Celeste schmolz, die abendliche Szene mit einem singenden Ritter ließ für Stunden ihre Alarmglocken ruhen. Am nächsten Morgen um sieben Uhr früh – ihre Haut war noch warm vom Bett, das sie mit dem Fotografen geteilt hatte – stand sie vor meiner Tür, schob mich zur Seite und legte sich splitternackt in mein Schlafzimmer. Sie schnatterte jetzt vor Lüsternheit, ließ fast alles zu, auch das Allervorletzte, nur nicht, noch immer nicht, alles.
    Hinterher heulte sie, ihre Schuldgefühle kamen so garantiert wie ihre Lustwellen. Sie hasste Lügen, sie hasste das Gefühl, kein Verlangen mehr nach dem Fotografen zu spüren, sie litt unter ihrem Mangel an Mut, dem Mut, sich zu entscheiden.
    Wir mussten uns trennen. Um wieder im ganz normalen Leben zwischenzulanden. Ich ging nach Afrika, sie mit dem Fotografen nach Indien. Die Entfernung tat uns drei Tage lang gut, dann begann von Neuem das jonesing . Das ist ein Ausdruck der Crackheads in Brooklyn, er beschreibt das Zittern. Weil der Nachschub fehlt, weil nichts ins Blut strömt, das besänftigt. Auch funktionierten keine pillow talks zwischen einem indischen Dorf und einem afrikanischen Kraal. Als ich endlich in eine größere Stadt kam, erfuhr ich die ersten News. Sie klangen nicht gut.
    Celeste panikte. Sie wollte nicht mehr, dass ich nach Rajasthan kam, um gemeinsam eine Woche durch unser Lieblingsland zu reisen. An dem Tag, an dem ihr Freund zurück nach Paris flog, sollte ich einfliegen. So war es besprochen. Die Lügengeschichten machten sie krank, denn eine Tonne Falschmeldungen sollte sie ihm einreden, um plausibel zu machen, warum sie ohne ihn in Indien bleiben wollte.
    Ich nahm nichts zur Kenntnis, verweigerte die Annahme der Nachrichten. Wenn sie darauf bestand, mich auszuladen, dann musste sie das von Angesicht zu Angesicht erledigen. Ich jedenfalls würde die sechstausend Kilometer zurücklegen, und wäre es nur, um mir eine Absage anzuhören.
    Das muss ihr imponiert haben, denn zuletzt kabelte sie einen hinreißenden Text: »Would it be rude to ask you for a test? If ever the hanky-panky goes out of control?« Eine Zeile aus einem Hollywood-Film. Jetzt

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