Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
uns »das Letzte« verboten hatten, fanden wir hundert vorletzte Aktivitäten, um unsere Körper in Aufregung zu versetzen. Trotzdem, es kamen Augenblicke, in denen wir beide (ja: beide) nur mit Hilfe heiligmäßiger Selbstbeherrschung die »Pforte zur Todsünde« – so einst mein Religionslehrer – vermieden.
In einem dieser Momente fiel Celeste der passende Ausdruck ein: »It’s like going to the ramp.« Ein Bild aus Cap Canaveral , wo man steil nach oben ragende Raketen – wenn der donnernde Vergleich erlaubt ist – zur Rampe schafft. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Flugkörper kurz darauf abgeschossen wird. Anders hier, irgendwo unter den Sternen von British Columbia, wo ich des Öfteren vor Explosionslust zitterte und nie in den Himmel rauschen durfte. Dass während unserer letzten Nacht – wir schlitterten jetzt in einem feinen Hotelzimmer zur Rampe – die Alarmglocke im Flur losgellte, empfand ich schließlich als Erlösung. Wer weiß, ob ich noch einmal durchgehalten hätte. Nur noch das Jaulen anrückender Feuerwehrzüge hielt ich für schrill genug, um mich an mein Versprechen zu erinnern.
Falscher Alarm, nichts brannte im Haus. Kichernd kehrten wir in unser Bett zurück. So blieb es bei ihren Konditionen: Erst bei Ausbruch der Liebe würden wir todsündigen. Nicht eine Stunde zuvor. Und da Liebe von ihr zu mir noch nicht ausgebrochen war, musste ich beweisen, dass ich der Liebe wert war. So einfach, so fordernd lautete der Eintrittspreis.
Meiner infatuation , meiner Vernarrtheit, so nannte sie das, der glaubte sie schon. Am nächsten Morgen hängte ich Brechts »After I had gone« ( Als ich nachher von dir ging ) an den Badezimmerspiegel, die zweite, die poetischste Strophe hatte ich rot umringelt:
Since we passed that evening hour
You know the one I mean
My legs are nimbler by far
My mouth is more serene.
Und seit jener Abendstund
Weißt schon, die ich meine
Hab ich einen schönern Mund
Und geschicktere Beine.
Letzter Morgen, schwieriger Morgen. Celeste stellte den MG bei Freunden unter, ich rief beim VIP Transport Service an und bestellte eine Super Stretch Limousine , diese acht Meter langen Zuhälterschlitten. Mit Chauffeur, mit Bar, Fernseher und Telefon. Am wichtigsten waren die dunklen Fensterscheiben. Denn wir heulten den weiten Weg zum Flughafen. Ich, weil ich erfahren musste, dass die zehn Tage und zehn Nächte nicht ausgereicht hatten, um sie endgültig zur Liebe zu überreden. Sie, weil sie anfing zu begreifen, wie nahe wir uns gekommen waren und wie unfähig sie schien, sich zu entscheiden.
Nicht zu fassen: In einem unserer kanadischen Badezimmer hatte ich eine Arztrechnung (für sie) von einem gewissen Dr. Singh gefunden, Chiropraktiker in Brooklyn. »Misalignment«, stand da, ihr Becken war, so der Doktor, »schlecht ausgerichtet«. Erstaunlich, denn ich fand es bisher auf geradezu sinnverwirrende Weise intakt.
Als ich Celeste darauf ansprach, platzte eine kleine Bombe. Unter leichtem Würgen beichtete sie die Geschichte ihres mitgenommenen Unterleibs. Höchstwahrscheinlich war dafür der seit drei Jahren an ihr tätige Fotograf zuständig. Denn ihre intimste Stelle schien er von Anfang an mit einer Art Trichter zu verwechseln, in den sich nach ein paar hurtigen Friktionen komplikationslos ejakulieren ließ. An ihren fünf Fingern konnte Celeste die Viertelstunden nachzählen, in denen auch für sie etwas an sinnlicher Wonne abgefallen war. Das letzte Mal im letzten Jahr. Inzwischen hatte sich ihr Skelett verbogen, schief gestellt von einem linkischen Liebhaber. Deshalb wohl ihr Hunger nach Langsamkeit, nach zarten Griffen und Zögern.
Wir nahmen zwei verschiedene Maschinen, besser so. Möglich, dass jemand Celeste in Paris abholen würde. Noch am Flughafen hatte ich mir ein Buch gekauft, The Bridges of Madison County , eine famos kitschige, Millionen Mal gedruckte Lovestory, deren mutloses Ende nichts dazu beitrug, mich zu beruhigen. Aber die Lektüre half, meinen schwelenden Verdacht zu verstärken: Von »Angst« – dieses deutsche Wort gab es seit ein paar Jahren auch in Amerika – war mehrmals in dem Bestseller die Rede.
Während der zehn Stunden Flug dämmerte mir, was ablief. Da war kein Kampf zwischen dem Fotografen und mir. Der Kerl schien brav und überschaubar, der starrte in keine Abgründe, den versuchte nichts. Celeste mochte ihn noch immer. Trotz seiner plumpen Auftritte als Beischläfer. Der Kampf ging zwischen mir und ihrer
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