Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
zu sein als in Paris. Die erste Nachricht, die ich via BBC hörte, handelte von einem Bombenanschlag in der Metrostation St. Michel, ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Eine Terrorwelle algerischer Fundamentalisten hatte begonnen. Ich vergaß den afghanischen Bürgerkrieg und jagte in Schrecken, die mir neu waren. Über das Satellitentelefon des Roten Kreuzes versuchte ich, sie zu erreichen. Diesmal trat ich – wie vorher besprochen – als indischer Arzt auf, als alter Freund, der sich um Celeste sorgte. Vergebliche Versuche, mit ihr zu sprechen. Ich hinterließ eine Nachricht. Erst Tage später kam ein Fax von ihr durch: Alles o.k.
Die einmonatige Trennung hatte mich wund gerieben. Wäre Sehnsucht ein Volk, dann war ich inzwischen China. Als ich zurückkam, hatten wir ein einziges gemeinsames Frühstück und ein Dutzend heimlicher Küsse. Anschließend begleitete ich sie zum Flughafen, Celeste musste nach Amerika. Ich hielt den Gedanken nur aus, weil wir uns für New York verabredet hatten, zwei Wochen später. Ihr Freund war noch immer ihr Freund und ich noch immer der Mann, auf den sie sich nicht verlassen wollte. Ich gab ihr ein Gedicht von Sheenagh Pugh mit, Sometimes . Da stand, was sie jetzt wissen musste: »Sometimes a man aims high, / and all goes well.«
Ich disziplinierte mich mit Arbeit. Bisweilen unterbrochen von dem Gedanken, dass es in Paris pro Quadratmeter mehr begehrenswerte Frauen gab als auf irgendeinem anderen Quadratmeter der Welt. Und dass ich ein paar tausend Meilen weit fliegen würde, um die eine, die einzige, zu treffen, die mir das Herz verwüsten konnte.
Als ich sie am John F . Kennedy Airport wiederfand, römisch elegant in einem italienischen Hosenanzug, mich auf den letzten zehn Metern zu ihr noch einmal daran erinnerte, dass sie zu alledem noch klug war und Wörter liebte, da schwindelte mir für den Bruchteil einer Sekunde und ich begriff, dass solche Höhen einen Preis haben und dass ich dieses Mal bereit war, ihn zu zahlen.
Auf dem Parkplatz stand ihr gelber MG , vor Tagen erst – nach langen Monaten in der Garage von Grandma – ausgemottet. Celeste war Waise und Grandma war die Mutter ihrer Adoptivmutter, die den Säugling vor siebenundzwanzig Jahren aus einem Krankenhaus in der amerikanischen Provinz geholt hatte. Kurz darauf lief der Adoptivvater davon, vom tatsächlichen Vater wurde nie eine Spur entdeckt. Die beiden Frauen aber hielten durch, behüteten das Kind mit allem, was sie hatten. Celestes Bedenken mir gegenüber hatten wohl auch mit der Erinnerung an ihre abwesenden Väter zu tun.
Aber heute war ein sonnengelber Tag in New York, unsere brüchigen Kindheiten schienen so belanglos. Auch das bewunderte ich an ihr. Celeste war nicht larmoyant, ging nicht hausieren mit ihrem Unglück. Ich musste sie fragen, erst dann erzählte sie. Und hinterher nie wieder.
Wir brausten Richtung Norden, wir hatten schwer gearbeitet und verdienten die nächsten zehn Tage Ferien. Now or never , jetzt roch ich meine Chance, jetzt war zehn kanadische Tage und Nächte lang Zeit, dieser Frau beizubringen, dass ich bis in meinen schlaflosen Herzmuskel hinein nach ihr verlangte. Und dass diese Sehnsucht ihr Leben bereichern würde. Diesmal würde ich gewinnen. Mit dem Fotografen einen Atlantik weit weg und mit mir so nah, so unausweichlich nah, jetzt konnte ich nicht mehr verlieren. Ich Träumer.
Kanada hielt jedes Versprechen. Nichts fehlte. Nicht die Tiefenschärfe, nicht die Pferde, nicht die Blockhütte, nicht das Kaminfeuer. Und nicht Charles Bukowskis Hot Water Music , ein Text, der von einem Liebespaar erzählte, das im Blue Moon Hotel übernachtete. Ich hatte das Buch wohlweislich mitgebracht, eines Abends – endlich – passte die folgende Stelle: »Es war verblüffend, dass hin und wieder eine Frau erschaffen wurde, die so aussah, es war zum Verrücktwerden. Victoria war ein schöner, verrückt machender Traum.«
Sechs Monate kannten wir uns jetzt und Celeste war nun leichtsinnig genug, sich mitten auf einer kanadischen Prärie durchgehend unbekleidet neben mich zu legen. Hatte ich doch – nicht wissend, woher ich die Kräfte nehmen wollte – versprochen: »Einfädeln«, so hatte es Henry Miller gelegentlich genannt, kam nicht in Frage. Sie war sinnlich und altmodisch. Ohne Liebe war sie nicht bereit, Liebe zu machen. Ich solle Langmut zeigen, solle »beweisen«.
Die Titanenpflicht fiel leichter als befürchtet. Not macht zärtlich, Not macht schwindlig. Da wir
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