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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Angst. Ich war für sie ein Angstmacher, ein Jäger, einer, der nichts wissen wollte von der Zeit nach der Eroberung. Sie hielt mich für einen interessanten Schwächling, der nicht mehr viel wert war, sobald er gewonnen hatte.
    Dass Celeste noch immer, trotz so vieler Mangelerscheinungen, an die Wiederaufstehung der Liebe zwischen ihr und dem Fotografen glaubte, auch das musste ich auf dem Weg zurück nach Europa einsehen. Das hatte sie mit so vielen anderen Frauen gemeinsam: dieses Nicht-Loslassen-Wollen, dieses Nicht-Begreifen-Können, dass es vorbei war.
    Wie auch immer. Ich rannte weiter auf sie zu. Und sie wich nicht aus. Zwei Stunden, nachdem wir gelandet waren, liefen alle Kommunikationsmittel wieder auf Hochtouren. Wieder unter strenger Geheimhaltung. Trotz meiner jetzt beißenden Eifersucht erkannte ich, dass das Verbotene der Garant unserer Geschichte war. Solange sie verboten und heimlich war, konnte uns nichts misslingen, bestand keine Gefahr, in die Fallen der Gewöhnlichkeit zu tappen. Heimlich flüstern, heimlich Botschaften lesen, heimlich diesen schönen Menschen in einen dunklen Toreingang dirigieren und alles Bloßgelegte abküssen. Jede dieser Tätigkeiten bewahrte uns vor dem Fluch der Unlust und der Mühsal eines geregelten Lebens zu zweit.
    »You are the perfect thrill provider«, sagte Carol Lombard in Lubitschs To be or not to be zu ihrem Helden, der sie immer (diskret) in der Garderobe besuchte, während ihr Ehemann auf der Bühne den Langweiler Hamlet deklamierte. So wollte ich, dass Celeste zu mir redete. Ich wollte nicht aufhören, sie mit dem thrill , mit Aufregung, mit Aufregungen, zu versorgen.
    Ich ließ eine Kiste zimmern, breiter als ihre Haustür, und suchte ein Taxi, einen Kombi, um das Ungetüm vor ihre Wohnung zu transportieren. Alles war genau kalkuliert. Als ihr Freund auf die Straße trat und um die nächste Ecke bog, bat ich den Fahrer, vorzufahren und bei Celeste zu läuten. Ich war inzwischen ausgestiegen und beobachtete, hinter einem Bauzaun versteckt, was nun passieren würde. Der Dicke läutete und Celeste kam herunter. Sie muss sofort begriffen haben, woher das riesige, blau eingewickelte Paket kam, denn in furioser Eile versuchte sie, es in den Flur zu zerren. Vergeblich, trotz der rührenden Hilfe des Fahrers. So mussten sie es mitten auf dem Trottoir zerlegen, mitten in Paris. Um es klein genug zu bekommen für den Weg über die Schwelle.
    Zwanzig Minuten später – ich besaß jetzt ein Mobiltelefon, um keinen Ton von ihr zu versäumen – rief sie mich an. Hatte sie doch in der zwei Kubikmeter großen Verpackung nichts anderes als ein halbes Gramm Papier gefunden, ein Billet für einen Abend mit Serge Reggiani, im Olympia, dem bekanntesten Konzertsaal der Stadt.
    Reggiani war einer meiner französischen Lieblingssänger, er besaß diese souveräne, menschenfreundliche Resignation, von der ich so elend weit entfernt schien und die ich jedem neidete. Aber ich schlug ihn aus einem ganz bestimmten Grund vor: Er würde das Lied »Sarah« singen und ich wollte, dass Celeste es hörte. Damit es ihren Argwohn dämpfte.
    Drei Tage später hörten wir es, mehrmals, denn der Refrain kam sechs Mal: »La femme qui est dans mon lit n’a plus vingt ans depuis longtemps.« Reggiani sang da von einer Liebe, die durchhält, auch wenn die Frau in seinem Bett schon lange nicht mehr zwanzig Jahre alt ist. Celeste weigerte sich zuzulassen, dass ich anders sein, anders werden könnte. Anders, als sie vermutete. Dass aus einem Jäger ein Behüter werden konnte, eben einer, der nicht von ihr loslassen würde, auch dann nicht, wenn der Rausch der Vernarrtheit vorüber war.
    Ich schien jetzt überzeugt, dass ich bei ihr durchhalten würde. Ich lief nicht mehr schreiend weg, wenn diese Frau davon sprach, Mutter werden zu wollen. Ich ertrug die so irrwitzige Vorstellung, irgendwann Vater zu sein. Ich befreundete mich mit so fremd klingenden Wörtern wie »sexuelle Treue«.
    Jacques Prévert hat einmal davon gesprochen, dass Liebende einen Code brauchen, Symbole, poetische Zeichen, um miteinander zu kommunizieren. Celeste war möglicherweise im falschen Jahrhundert geboren worden, denn sie träumte von Helden und Rittern, die Schwerelosigkeit zauberten und auf geflügelten Pferden ihr angebetetes Ritterfräulein entführten.
    Ich spielte gern den Ritter. Leider fehlte mir das Talent zum Minnesang. So strich ich abends durch die Metro, um einen zu finden, der als Eroberer auftreten und

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