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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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war sie bereit für alles. Dass ich tagelang transpirierte, bevor ich das Ergebnis des Aidstests in Händen hielt, auch das schien mir nur Teil eines langen, steilen Anlaufs hin zu dieser Frau. Aber in Asien würde ich ankommen bei ihr, würde ihrem Körper und ihrem Denken näher sein als jeder andere. Sie würde mich wählen. Mich, den Einfältigen, der noch immer nichts begriffen hatte.
    In einem seiner Tagebücher hatte Albert Camus einmal notiert, dass »diejenigen Liebenden Narren sind, die glauben, die Welt um sie herum wäre verschwunden.« Aber Camus war nie in Indien gewesen, hatte nie erfahren, dass auf diesem Erdteil die Spielregeln der übrigen Menschheit nicht gelten. Erst recht nicht für Liebende, die Indien lieben.
    Irgendwo in 10000 Metern Höhe über Teheran müssen wir uns, der Fotograf und ich, gekreuzt haben. Um vier Uhr morgens landete ich im Hotelbett Celestes. Wir waren glücklich und zaghaft wie Kinder. Der Kampf mit ihrem penetranten Gewissen hatte sich schon abgeschwächt, das Rauschgift Indien wirkte bereits.
    Am nächsten Tag buchten wir einen Termin in einem Schönheitssalon. Mit keiner Silbe hatten wir die Möglichkeit einer vollständigen, auf nichts mehr verzichtenden Liebesnacht erwähnt. Sie schien da, sie war nur noch eine Frage von ein paar Tagen und Nächten der Vorbereitung. Deshalb die Idee, den Beauty Shop aufzusuchen. Wir wollten schön sein und geschmeidig, wollten unsere Haut, unsere Hände und Fingerspitzen einstimmen. Damit sie nichts falsch machten, wenn die »Stunde des Erkennens« (Salomon) gekommen wäre.
    Indien schenkte uns alles, was wir wollten. Am späten Nachmittag heuerten wir den so höflichen Jubatt und seinen mit rosenweißen Deckchen ausgelegten Ambassador an und verließen New Delhi Richtung Traum. Eine warme Novembersonne strahlte, an der ersten Bahnschranke setzte sich ein Vogel auf den rechten Scheibenwischer, der Mond zog auf, Jubatt raste – wie alle anderen Inder um uns herum – leichtfertig durch die Nacht.
    Am nächsten Abend fanden wir den Ort, an dem uns keine Ausflüchte mehr einfielen. Die Fata Morgana hieß Samode Palace und lag eine knappe Autostunde außerhalb von Jaipur. Als wir durch das Palasttor in den Hof einfuhren, war die einzige Antwort auf den Wahn: aussteigen und niederknien. Die von schönen alten Männern mit gezwirbelten Schnauzbärten und rajasthanrot leuchtenden Turbanen gesäumte Schlosstreppe führte direkt in den Himmel. Stiller Himmel, nur das Knistern der brennenden Fackeln war zu hören. Und das leise Kichern von Jubatt, der triumphierend »voilà« sagte, unverhohlen stolz auf eines der Weltwunder seines Landes.
    Wir fragten nach dem spektakulärsten Zimmer und bekamen es: Nummer 21, das frühere Schlafgemach der Maharani, der Frau des Maharajas. Als Yogi, der Hausboy, die Kerzen anzündete und die Fenster hinaus zu den indischen Sternen öffnete, fielen mir drei Wörter aus dem Traktat des Steppenwolf ein, die jetzt genau passten. Hermann Hesse hatte da vom »Schaum des Augenblicksglücks« geschrieben, der den gerade Glücklichen niederwalzt: der grandioseste Schlafplatz der Welt, zwölf mal sieben Meter, ein Zyklopenbett mit Baldachin, zwei mit Kaschmirdecken und Seidenkissen ausgelegte Lümmelecken, kleine weichleuchtende Lichtquellen, ein Sechs-Sterne-Badezimmer mit einem Sechs-Sterne-Badezimmervorraum, die hohe Decke, die Bilder, die Spiegel, der Duft, das unvorstellbare Gedächtnis dieser orientalischen Suite, die während langer Zeit so vieles gesehen haben musste.
    Erst in der zweiten Nacht trauten wir uns. Wir lagen oben auf dem Palastdach, dem Mond noch einmal zehn Meter näher, und Celeste las laut aus Ryszard Kapuścińskis Imperium vor, las die mit ätzender Schärfe geschriebenen Seiten, auf denen Stalin seine ersten »Säuberungen«, seine ersten Massaker, arrangierte.
    Hinterher kam mir die Idee, dass ich die folgenden Stunden wohl dem ehemaligen Generalsekretär der KPdSU verdankte. Seine Barbareien trieben Celeste und mich zusammen, unser Bedürfnis nach letzter Nähe war durch kein Schuldgefühl mehr aufzuhalten. Wir krochen unter den Baldachin.
    Wir hatten Glück, nichts missriet uns, die acht Monate Karenzzeit schienen nicht umsonst. Sex war noch immer die innigste, unbegreiflichste Privatheit, die zwei sich antun konnten. Dazu kam die Freude, ein nächstes Geschenk zu entdecken: Celestes erotische Begabung. Kein Funken panamerikanischer Puritanismus in ihr. Wie selbstverständlich gab und

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