Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
uns ein Taxi bis zum Star Ferry Pier . Dann mit der Fähre rüber nach Kowloon . Hier lasse ich diskret meinen Rucksack in der Nähe meiner Freundin stehen und verschwinde. Cathy wird ihn an sich nehmen und mit zwei weiteren Reisetaschen ins Hotel Ming fahren, eine unauffällige Absteige, Cameron Road . Ein Einzelzimmer ist bereits reserviert.
Ich gehe frühstücken, in meiner Hand ein Plastikbeutel mit einem Paar Halbschuhen, einem zerrissenen Hemd und dem Messer. Requisiten für die Nacht. Anschließend Zeit totschlagen. Zum Friseur, rasieren. Gepflegtes Aussehen erhöht die Gewinnchancen. Um zwölf treffen wir uns kurz vor dem Eingang einer Moschee, Ecke Haiphong / Nathan Road :
»Wie bist du untergebracht?«
»Es geht, Zimmer 9, erster Stock. Eine Bude, aber die Klimaanlage funktioniert.«
»Bestens. Beweg dich bitte am Abend nicht aus dem Hotel. Ich werde dich anrufen, so oder so.«
Den Nachmittag über wenig Aufmunterndes. In der Zeitung lese ich unter False Report , dass ein junger Kerl zu acht Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Weil er der Polizei ein Verbrechen meldete, das so nie stattgefunden hatte. Redete von einem Einbruch in seiner Wohnung, um bei der Hausratversicherung abzukassieren. Ich schwanke für Augenblicke. Beim Kinobesuch – Loophole mit Albert Finney – ein weiterer Tiefschlag. Der Raubzug durch die Londoner Kanalisation in die Bank of England scheitert. Die Bande ersäuft. Nur zwei überleben, mit dem nackten Leben. Die Zeichen stehen auf Sturm, ich muss aufpassen.
Um 17 Uhr ist der Film zu Ende. In der Toilette wechsle ich meine abgelaufenen Turnschuhe gegen die mitgebrachten Slipper. Haben auch Löcher, sind aber auf den ersten Blick seriöser, nicht so verdächtig alternativ. Dann hinein in ein Fast-Food-Restaurant. Noch neunzig Minuten vertrödeln. Als es endlich dunkelt, ein letztes Mal auf die Toilette. Die Messerklinge mit einem Streichholz desinfizieren und den Brustgeldbeutel streng um Hals und Rücken schnüren.
Raus auf die Yee Wo Street . Es dauert, bis der 5B durchkommt. Ich stelle mich auf die Verbindungstreppe zum Obergeschoss des Doppeldeckers. Ein intimer Platz, keiner soll sich an mich erinnern. In der Nähe des Mount Davis steige ich aus. Ich bin hochgradig erregt und konzentriert. Rasch biege ich in die Straße ein, die zur Spitze führt. Niemand folgt. Nach der ersten Linkskurve begegne ich zwei älteren Chinesen, Spaziergänger. Keine Gefahr, da die Dunkelheit nur Schemen preisgibt.
Ich beginne zu laufen, so geräuschlos wie möglich. Drei Minuten später bin ich an der vorgesehenen Stelle. Alles wie erhofft, kein Licht dringt mehr von der Stadt herauf. Was nun kommt, ist bereits Dutzende Male als Film durch mein Gehirn gelaufen. Doch jetzt ist Wirklichkeit und sie hat mehr als 24 Bilder pro Sekunde: Aus der Plastiktüte nehme ich ein gelbes, kurzärmeliges Hemd. Es ist schmutzig, zerrissen und blutbefleckt. Andenken an eine Meinungsverschiedenheit vor zwei Wochen in Seoul. Es ist exakt die passende Garderobe für den heutigen Abend. Mit feuchten Händen ziehe ich es über den Leib, werfe das andere unauffindbar in die Büsche. Dann der Griff zum Messer. Am linken Ellbogen setze ich an und ziehe zwölf Zentimeter Richtung Handgelenk. Mit den fünf rechten Fingernägeln fahre ich den Hals entlang, das gibt satte Kratzspuren. Zuletzt reibe ich mit einem kantigen Stein über die Stirn, Schürfwunden. Sind alle drei Wundmale angelegt, verteile ich das heftig aus dem Unterarm quellende Blut über Gesicht und Hemd. Auf Schuhe und Hose kommt staubiger Dreck. Messer und Tüte verschwinden. Ich bin oberflächlich verletzt und sehe wie hingerichtet aus. Ich horche gespannt in die Stille. Nur weit entfernte Autogeräusche.
Ich warte noch ein paar Minuten, um genügend Zeit zu lassen für einen offiziellen Überfall. Dann renne ich los, bergabwärts. Schweiß und Blut beginnen sich zu vermischen.
Unten angekommen, spurte ich die Victoria Road hinunter, Richtung Central District . Auf dieser Strecke liegt die Western Police Station . Jetzt gilt es, Meldung zu machen. Schließlich handelt es sich hier um einen Versicherungsbetrug, genauer: Reiseversicherungsbetrug. Eine räuberische Handlung soll vorgetäuscht werden, um von der Polizei ein Protokoll über einen Überfall zu erhalten, der nie passierte. Ein solches Dokument ist Tausende wert, je nachdem, was alles (nicht) gestohlen wurde. Letzte Akribie ist angeraten. Glaubt man den letzten Statistiken, fliegen
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