Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
Blühende Frauen und sabbernde Irre, stinkende Hitze und wohltemperierte Restaurants, plärrende Kofferradios und die Weihrauchstille buddhistischer Klöster.
Nichts, was ich sehe, lässt mich unberührt. Alles, was ich registriere, durchläuft in meinem Hirn ein bestimmtes Raster: Eignet sich dieses Haus, dieser Platz, diese Straße, um gesetzwidrig und erfolgreich tätig zu werden? Wo befindet sich der rechte Ort, um Unrecht zu tun? Wo wartet eine reelle Chance, um sich unbürokratisch und zügig zu bereichern?
Das Unternehmen macht nur Sinn, wenn ich professionell arbeite. Rudel von Ganoven sind in dieser Stadt zugange. Alle auf dem Sprung nach dem schnellen Geld. Aber viele schludern. Mit Endstation Wasser und Brot. Verbrechen ist hier ein anstrengendes Geschäft. Die hiesige Polizei gilt als brutal und effizient. Jedes Alibi ist grundsätzlich verdächtig, jeder grundsätzlich Täter. Ich lerne den Satz auswendig, um mich beharrlich daran zu erinnern.
Ich gestehe, hinter aller Notwendigkeit lauert ein starkes Gefühl: die Sucht nach dem Stachel, das Spiel mit der Angst. Immer wieder diese innig gesuchten Momente des schnellen Herzschlags. Diese Lust auf Abwege, dieses geradezu kindische Vergnügen, »böse« zu sein.
Ich gehe nicht über Leichen. Aber über Leichtverletzte, das schon. Denn verbotenes Geld – genauer gesagt, der Weg dorthin – hat einen berauschenden Geruch. So sind die fünf Riesen nur äußerer Anlass, nur die brauchbare Rationalisierung einer ungesetzlichen Tat. Etwas, mit dem ich mich meines Lebens vergewissere. Das Risiko als Lebensversicherung, wie schwindelerregend wahr.
Nach vier Tagen entscheide ich mich für den Tatort. Bisher favorisierte ich das Hafenviertel Aberdeen mit seinen Dschunken und Sampas. Dort gibt es eine Menge Gassen, verwinkelt, verwirrend, irreführend. Genau richtig – und doch: zu betriebsam, nicht diskret genug, keine zwanzig Sekunden ohne lästige Menschenaugen.
Viel einsamer, viel leerer scheint – seltsam nur, dass es mir nicht eher auffiel – die schmale Straße hinauf zum Mount Davis. Als ich am vorletzten Abend die Strecke mit dem Taxi nach oben fahre, trifft mich die Entdeckung wie ein Satori : Hier ist es. Hier ist es finster, verlassen, versteckt hinter Felsen und Sträuchern.
Cathy bekommt einen Heulkrampf. Morgen soll die Sache steigen und ich ändere noch um Mitternacht Schauplatz und Zeitplan. Das Ding drehe ich allein. Um sie nicht zu gefährden. Meine Freundin wird aber wichtige Zulieferdienste übernehmen, die manches erleichtern. Immer wieder hatten wir eine Reihe denkbarer Varianten besprochen, Vorteile und Fehlerquellen. Und immer wieder hatte mich dabei ein Gefühl der Unsicherheit überkommen, die Erkenntnis, dass zu viele Fragen offenblieben, dass zu viele weiße Flecken den Plan bedeckten, dass zu viele Faktoren von Glück und Zufall abhingen. Cathy hält meinen letzten Vorschlag für nicht besser. Im Gegenteil, mehr Erfolgschancen hätten noch immer die hundert Gassen von Aberdeen. »Das ist doch Wahnsinn! Noch vor einer Stunde war alles haargenau festgelegt und jetzt, mitten in der Nacht, fällt dir etwas Neues ein.«
Ich spüre die eigene Anspannung, will nicht mehr diskutieren und bestehe darauf, dass ich recht habe. Ab sofort bin ich unbelehrbar. Plötzlich die Sicherheit, dass meine Entscheidung richtig ist. Cathy, in außergewöhnlichen Situationen stark und belastbar, murrt nicht weiter, die letzten zornigen Schluchzer verebben. Sie zieht den Schreibblock heraus und macht Notizen, sagt nichts Gutes, nichts Schlechtes, verspricht Unterstützung. Ich mag ihre Kraft. Bedrückt gehen wir schlafen, Frauenschlafsaal, Männerschlafsaal.
Der Wecker läutet um sechs Uhr. Draußen ein strahlender Sonntag. Der Tag des Coups. Wenn alles klappt, fliegen wir morgen um 11.45 Uhr über Manila nach Frankfurt, im Gepäck ein mit Schreibmaschine beschriebenes, viel Geld teures DIN -A4-Blatt.
Um halb sieben sehe ich durch das Fenster Cathy am Ausgang stehen. Sie geht los. Alles schläft noch. Gut so, je weniger Leute unseren Aufbruch beobachten, desto besser. Fünf Minuten später folge ich ihr. Klüger, wenn wir nicht gemeinsam den langen Weg nach unten antreten. Mit all unseren Habseligkeiten.
Wir kommen zur rechten Stunde, kaum Leute. Nur ein paar Einheimische beim Frühsport, dem eleganten Tai Chi . Cathy hat mir verziehen. Sie lässt ein Stück Papier fallen, ich lese: »Take care.«
Unten an der Victoria Road nimmt jeder von
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