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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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eine andere Richtung. Dreihundert Meter weiter bin ich wieder allein.
    Ich entdecke eine Polizeistation, weithin sichtbar durch einen hell leuchtenden, gelben Punkt über der Eingangstür. Ein friedlicher Ort. Auf dem Fußboden schlafen zwölf Leute, der Chef döst übernächtigt auf seinem Schreibtisch. »Youth hostel?«, wiederholt er unfassbar ratlos. Trotzdem ist er sofort bereit, nach etwas zu suchen, von dem er nicht weiß, wie es aussieht. Mit seiner mächtigen Taschenlampe führt er mich zurück auf die Straße. Suche mit System. Wir eilen zu verschiedenen Plätzen seines Reviers, wo sich das immer gleiche Ritual abspielt: Der Chef klopft an einen Holzverschlag, keine Hütte, eher eine Art geräumiger Sarg. Der Deckel öffnet sich und abwesend verschlafen streckt ein Polizist seinen Kopf heraus: »Anio«, fünfmal Anio, fünfmal Nein. Wir gehen zurück. Alle seine Außenposten hat er befragt, mehr ist um diese Uhrzeit nicht möglich.
    Aber so viel Düsternis bringt Erleuchtung. Jedes Licht, und sei es noch so schwach, setzt sich hier durch. Auf dem Weg zurück zur Polizeiwache entfährt mir ein leiser Freudenschrei. Einen Steinwurf entfernt sehe ich dieses zerbrochene Schild, noch immer fahl und flackernd. Seit einer Stunde irre ich im Kreis. Der Milchfahrer hatte recht, sein Rotary stimmte.
    Ich beherrsche mich, bedrückt bedanke ich mich bei Inspektor Lee Kee Kyu. Kein Wort von meiner Entdeckung. Besser, wenn die Polizei nicht weiß, wo ich wohne. Siehe Kim und Shangri-La, siehe Nightclub und Nachspiel.
    Der Rest ist nur noch Routine. Das Schild, eine enge Gasse, ein Mauereck, märchenstill und schemenhaft liegen das Green House und sein Garten vor mir. Behutsam klettere ich über das verschlossene Tor. Drei schöne Sekunden lang. Nicht länger, dann sind sie vorbei. Als ich auf dem Rasen lande, blitzt der Strahl einer Taschenlampe in mein Gesicht:
    »Ich habe auf Sie gewartet, Mr. Andrew, zwei Stunden lang.« Die ungewohnt ruhige Stimme Kims im ersten Zwielicht des Tages. »Und natürlich wissen Sie, warum, Mister Andrew.« Kim hat drei seiner Freunde mitgebracht. Drahtige Freunde, die cool und sichtlich entspannt neben ihm stehen. »Wie zum Teufel haben Sie mich gefunden?«, stottere ich. »Ach, nichts einfacher als das, Mister Andrew.« Voller Genugtuung wedelt Kim mit einem Stück Papier. Einer der Drahtigen setzt sich in Bewegung und hält es mir unter die Nase. Ich erkenne meine verloren geglaubte Quittung: Paid for one night , steht darauf. Und darüber Green House , die volle Anschrift und mein Name. »Wie kommen Sie dazu?«, frage ich nun doch erstaunt. Kim grinst genüsslich. »Meine alte Freundin Tul-pi, Sie erinnern sich sicher? Seit Jahren arbeiten wir zusammen. Ich bringe die Kundschaft und sie bringt das Geld.« Ich bin noch immer nicht auf dem Laufenden. »Ja und?«, frage ich genervt. »Mein Gott, muss ich es wirklich aussprechen, Mister Andrew? Wahrscheinlich waren Sie zu hitzig, jedenfalls fischte Tul-pi beim Liebesspiel den Fetzen aus Ihrer Tasche.« Jetzt wird es klar in meinem Kopf. »Ich verstehe, schon auf dem Weg zum Nachtclub hatten Sie meine Adresse?« Kims Kopf wackelt jetzt vor Glück. »So ist es, Mister Andrew.«
    Manchmal wissen Verlierer genau den Zeitpunkt ihrer Niederlage. Und sie wissen den Grund: Tul-pi, die Schöne, die Gerissene, und Kim, der Zuhälter und Ganove, waren eben cleverer. Der Morgen graut. Ich zähle nach: dreihundertfünfundachtzig Dollar, cash.

DER COUP
    Die Reise ist gepumpt. Wie so oft. Dieses Mal mit fünftausend Mark Schulden nach Asien. Mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland, auf dem Schiff nach Japan und Korea. Knapp zwei Monate sind wir nun unterwegs und der Gedanke lässt sich nicht mehr verdrängen: Wenn ich zurück nach Europa komme, ist Zahltag. So ist es versprochen und ich will Wort halten.
    Als die Boeing 747 auf dem Kai Tak -Flughafen landet, beginnt der Countdown. Hier in Hongkong ist unsere letzte Station. Fünf Tage sind jetzt Zeit, um nicht mit leeren Händen nach Hause zu fliegen. Diese Stadt hat eine Menge krimineller Energie. Das macht die Sache leichter. Die Möglichkeiten, unbefugt an Geld zu kommen, sind durchaus vorhanden.
    Cathy und ich wohnen auf dem Mount Davis , im äußersten Eck von Hongkong Island. Ganz oben steht eine Jugendherberge. Mit zehn versauten Toiletten und einem nächtlichen Paradiesblick auf das lichterglitzernde Meer. Typisch Hongkong, Himmel und Fegefeuer liegen haarscharf nebeneinander.

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