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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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rasten nun die Lachsalven aus unseren Bäuchen. Drake umklammerte seinen Brustkorb, um nicht zu platzen. Wir wurden so lustvoll strapaziert, weil uns nichts absurder schien als der Zustand der Normalität, nichts waghalsiger und halsbrecherischer. Das verschluckte Gift impfte uns gegen jede Schwerkraft. Wir schwirrten und schwebten, während die anderen tonnenschwer auf der Erde zurückblieben. Und von nichts anderem träumten, als »verdammt normal« zu bleiben. Was für eine Narretei.
    Wir räumten das Branding’s . Wir brauchten ein Ambiente, das alles erlaubte. Das stark und verrückt war wie Magic Mushroom . Einen Freiraum, wo nichts im Weg stand: keine Moral, keine Hausordnung, keine Sehnsucht nach dem Alltag. Einen Ort eben, der alles aushielte. Das Fieber in unserem Blut stieg weiter, wir brauchten eine Intensivstation.
    Drake kannte sie. Er nahm uns an der Hand und fuhr los, Richtung Steve’s house . Dort, so versprach er, gäbe es keine falschen Bayern, keine echten Cowboys, keinen, der normal bleiben wollte. Die kurze Fahrt durch die kleine Stadt entpuppte sich als schwierig. Hätte uns die Polizei gestoppt, auf zehn Mal lebenslänglich hätten sie uns die Führerscheine entzogen. Alle unsere sechs Beine zappelten. Abwechselnd bediente einer das Gaspedal, der andere die Bremse, Bonnie beugte sich nach vorn und riss an der Gangschaltung. Kavalierstart und Vollbremsung. Dazu kamen unsere wiehernden Oberkörper, nicht weniger unkontrollierbar als die närrischen Unterleiber. Mit einem letzten Bocksprung landeten wir vor einem flachen Holzhaus, Steve’s house .
    Musik röhrte, die Tür stand offen, im Wohnzimmer saßen Ed und Mike, beide Studenten. Und Clark, ein tapsiger Dinosaurier mit knapp drei Zentnern Kampfgewicht, arbeitslos. Alle drei waren Freunde von Drake und Bonnie. Steve, der Besitzer, fehlte, er arbeitete noch. Keiner warnte uns, aber jetzt, kurz nach ein Uhr früh, begannen ein paar der intensiveren Stunden unseres Lebens. Jeder hatte etwas geschluckt, jeder war bereit, und das war der Ort, der alles hinnehmen würde.
    Diesmal legte Bonnie die Zündschnur. Sie zog eine vom Oktoberfest geklaute Kuhglocke hervor und läutete die erste Runde ein. Das Geräusch allein hätte gereicht, um uns – ein Dankgebet seufzend – zu Boden zu schicken. Die Schöne verschlimmerte den Zustand, indem sie dramatisch ausrief: »For whom the cowbell tolls«, absurde Anspielung auf Hemingways »Wem die Stunde schlägt«. Und uns schlug die Stunde. Nicht die tödliche, nur die allerlebendigste. Drake kroch in die Küche, um auf dem glühenden Elektroherd ein paar Gramm Haschisch zu erhitzen. Gedacht als Nachtisch. Und Baby Clark, »the coloss«, legte los . The Late Night Show has just started.
    Clarks Ziel war klar und übersichtlich: Steves Bude in eine Bruchbude zu verwandeln. In persönlicher Bestzeit erreichte der 140-Kilo-Mann seine Hochform. In Windeseile lag die Stehlampe als Alteisen am Boden. Als Drake mit den heißen Kügelchen auftauchte, hatte sein Freund durch energisches Wippen bereits den Polstersessel von Rückenlehne, beiden Armstützen und drei Füßen befreit. Ähnlich demoliert sah Minuten später die Couch aus. Clark streckte sich anschließend grunzend vor Vergnügen auf dem Teppich aus und suchte nach Gegenständen, um die längst fällige Stereoanlage zu bombardieren. Bei jedem Volltreffer läutete Bonnie heftig die Glocke. Keinem von uns war mehr zu helfen. Erledigt von unseren willenlosen Körpern und der fehlenden Einsicht, dass hier irgendetwas beschützt und bewahrt werden sollte, empfanden wir Clarks Kahlschlag als sinngebend und lebensbejahend. Nur die hysterische Angst jagte uns, an Wollust zugrunde zu gehen, ausgelöscht zu werden von einem Herzinfarkt, einem Magendurchbruch und zwei platzenden Lungenflügeln.
    Der einsamste Höhepunkt dieser Nacht stand aber noch aus. Es war der Augenblick, in dem Steve, Mechaniker bei Greyhound und Wohnungsbesitzer, von seiner Nachtschicht zurückkam und die Tür öffnete. Und sich ihm folgende Aussicht bot: verschieden große Bierlachen, der zertrümmerte Sessel, ein ehemaliges Sofa, die zerlegte Stehlampe, ein heruntergerissener Vorhang, die im Niedergang begriffene Stereoanlage, die haschgeschwängerte Küche und ein halbes Dutzend Erwachsener, die ihn – in den verschiedensten Stellungen befindlich – mit wimmerndem Schluchzen begrüßten.
    Steve brach alle Rekorde. Er war bereits jenseits von Menschenleid und Jammer. Wo andere

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