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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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hügelig, buschig, undurchdringlich, undurchschaubar. Ein rambler ist ein »Wanderfreund« und in anständigen Reiseführern steht, dass man hier artig Vogelarten beobachten kann. Da schmunzelt der New Yorker. Vogelfreunde kommen hier nicht vorbei. Nicht mehr. Hier liegt der Welt größtes Freilichtpuff für Männerfreunde. »Open 24 / 7«, sagt Ron, der erste, den ich frage, täglich geöffnet, durchgehend, ohne Ruhetag.
    Eine wundersame Atmosphäre, die Schatten der Kunden und Boys, die Flüsterworte, das Seufzen hinter Bäumen, das Knarren gerade belegter Bänke, der schnelle Abschied. Ich bin neu und willkommen, Frischfleisch. Angebote warten, inklusive Probeanfassen:
    »I suck your ass, I suck everything.«
    »Please, please follow me.«
    »I’ve got ten inches, you know, the more inches the deeper the fun.«
    »Come over here, I’ll jerk you off.«
    Als die Polizei vorfährt, leuchtet sie mit Suchscheinwerfern ins umtriebige Gebüsch. Über Lautsprecher werden wir aufgefordert zu verschwinden: »It’s one o’clock, leave the area.« New York City hat ein sogenanntes »Ein-Uhr-Ausgangssperregesetz für Parks«. Grundsätzlich außer Kraft, kann aber kurzfristig reaktiviert werden. Hier im Ramble dient es vor allem dazu, die falschen Schwulen zu vertreiben, das wären die bösartigen Schlitzohren, die der liebeshungrigen Kundschaft eine schnelle Nummer versprechen, nichts halten, dafür reinhauen und die Brieftasche fleddern.
    Kurz darauf passiert die heiterste Episode der Woche. Unten am Bethesda Fountain sehe ich jemanden, der sich eine Zigarette anzündet. Das Streichholz flammt hell in der dunklen Umgebung. Ich nähere mich, will um Feuer bitten. Doch der Schwarze, eher abgerissen, sieht mich kommen und rennt auf der anderen Seite die Treppe hoch. Ich eile hinterher, rufe ihm nach, will ihn beruhigen. Erfolglos. Oben, noch in der Nähe des Ramble , patrouilliert noch immer derselbe Streifenwagen. Zielgenau rennt der Mann auf die Polizisten zu, zeigt wirr gestikulierend auf mich und beschwert sich bitterlich: »Help me, please help me, this homeless fag is chasing me.«
    Aberwitzig komisch, dass ich hier als obdachlose Schwuchtel unterwegs bin, die jemanden verfolgt. Die beiden Beamten steigen aus und mit der Souveränität von Männern, die rund um den Speckgürtel zweihundert Schuss Munition tragen, bitten sie zum Verhör. Also erkläre ich – absurdes Theater in Echtzeit –, dass ich das alles nicht bin, auch niemanden verfolge, nur ein verdammtes Zigarillo rauchen wollte und deshalb »this distinguished gentleman« (ganz ohne Ironie bringe ich das Affentheater nicht hinter mich) um einen Gefallen bat. Meine Rede leuchtet ein, irgendwie mache ich momentan den intelligenteren Eindruck von uns zweien. Unwirsch schicken die Bullen mich weg: »Leave the park now!« Ich ziehe mich zurück, nach fünfzig Metern verschwinde ich im Gebüsch und warte, bis die beiden Dicken mit ihrem Wagen außer Sichtweite sind.
    Unergründliches Menschenherz. Nachts im Central Park stimmt dieser Satz mehr als anderswo. Ich begegne »Black Jack«, der spät nach Mitternacht die Hose herunterlässt, um nackt im nächsten Brunnen sein erstes »breakfast bath« zu nehmen und sein zuletzt geschaffenes Gedicht zu rezitieren: »There are Tarzan and God and me. Period.« Laufe José über den Weg, der seine Matratze über die Wiesen schleppt, hoffnungslos überfordert, sich für einen Schlafplatz zu entscheiden, stehen doch Millionen zur Verfügung. Und spurte hinter Mick her, dem Langstrecken-Athleten, der schweißgebadet ums Reservoir hetzt, blind für die Schönheit des Lichtermeers im unbewegten Wasser. Nur wenn ich mitlaufe, will er antworten. Es ist 2.37 Uhr, wir laufen, einer fragt, einer antwortet:
    »Why are you running?«
    »To be on the right side.«
    »But what is the right side?«
    »It’s the winning side.«
    Und ich entdecke Tango, der mit Radfahrerhelm, Skistöcken und Rollschuhen von Baum zu Baum wedelt, schwungvoll mit einem Stemmbogen abbremst und immer genau fünf Minuten stillsteht, mit hoch in die Luft gestreckten Stöcken. Ein Anblick aus einem Märchen. Er habe mich längst kommen sehen, behauptet er sanftmütig. Und meine Frage könne ich mir sparen. »Ich«, sagt Tango, »reise von Baum zu Baum und halte eine Mahnwache. Damit sie bleiben, damit sie nicht sterben.« Ist das verrückt? Nein, es ist umwerfend, zum Weinen schön.
    In der Stille der Nacht, durch die ich manchmal zwei Stunden wandere, ohne

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