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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Affäre kennen Sie doch? Wenn nicht, lassen Sie mich Ihnen auf die Sprünge helfen: Über Umwege höre ich von einem Fluggast, der meine Story zuerst im deutschen Original, hinterher die englische Version las und anschließend zu seinem Sitznachbarn sagte: ›Altmann should sue the translater, this translation is pure shit‹. Nachdem mir diese Bemerkung zu Ohren gekommen war, las ich Ihr Opus und musste kleinlaut feststellen, dass das Wort shit den Sachverhalt mit einem einfachen und uneleganten Wort beschreibt. Mit Scheiße eben. Wenn Sie folglich von einem wissen, der noch unbegabter, noch sprachdürftiger, noch dreister als Sie dem Autor und noch leckmichamarschiger dem Leser gegenüber die wunderbare deutsche Sprache in die wunderbare englische Sprache übersetzt, wenn Sie denn von so einem erfahren sollten, dann lassen Sie hören. Mit freundlichen Grüßen, A . A .«
    Kleines Notabene, um jedes Missverständnis zu vermeiden. Alle meine Reportagen hätte man anders, leider ja: besser schreiben können. Werfe ich heute einen Blick auf sie, dann bin ich froh, wenn sich niemand mehr an die jeweiligen Hohlstellen erinnert. Sinnigerweise wurden sie, diese Stellen, von den damals zuständigen Sesselfurzern nicht angemahnt. Natürlich traf ich Redakteure, die aus mir einen besseren Schreiber machten. Redakteure, die nebenbei fantastische Leser waren und – von keiner Profilneurose gewürgt – das Manuskript mit klugen Vorschlägen bereicherten. Was mich am heftigsten an ihnen begeisterte: Sie verschonten mich mit ihrem harmonisierenden Senf, den beizutragen sich die anderen bemüßigt fühlten. Mein Text durfte parteilich bleiben, verletzend, behütend, widersprüchlich, zornig, gar gefühlsstark. Nie suchten sie mich heim mit der lauwarmsten aller Forderungen: dem Ruf nach Objektivität, nach Distanzierung, nach Unparteilichkeit.
    Leidenschaft
    Jeder, der schreibt – sagen wir lieber, jeder, der schreiben muss, weil er zu nichts anderem taugt –, wird den folgenden Satz von H .  C . Artmann verstehen: »Ich habe zwei Leben, eines besteht aus Essen und Trinken, das andere aus Schreiben.«
    Schreiben heilt. Und Nicht-Schreiben zermürbt. Wie gefahrlos erscheint da die Existenz des Reporters, der Schreiben als ästhetisches Problem begreift, nicht als Ja oder Nein über sein Schicksal. Aber ich – nur Reporter, nie Romancier – treibe mich gern in der Nähe der Meister herum. Weil ich von dem Wahn ergriffen bin, dass das Berühren ihrer längst verlassenen Bettstatt oder ihres längst aufgegebenen Schreibtisches etwas abfallen lässt für den, der sie so rückhaltlos verehrt.
    Ich wanderte zum Blarney Castle , einer Burg im Süden Irlands. Dort gibt es den stone of eloquence . Man muss sich vor ihm auf den Rücken legen, sich leicht verbiegen und den Stein, von unten, küssen. Dann, so die Sage, überkäme einen die Kunst der Beredsamkeit. Das schöne Märchen entstand, weil der einstige Schlossbesitzer McCarthy nie seine Zusage einhielt, Königin Elisabeth  I . militärische Unterstützung zu leisten. Seine Ausreden waren so blumig und originell, dass man ihm alles glaubte.
    In Tanger traf ich den marokkanischen Schriftsteller Mohamed Choukri, gewiss einer, der über die Gabe der Beredsamkeit und des Schreibens verfügt. Ich notierte damals: »Zwei Stunden, nachdem ich in der Stadt gelandet bin, klopfe ich an seine Tür. Eine drei Monate lange Reise durch Afrika liegt vor mir und ich will den Verführer vorher noch sehen. Damit ich die Erinnerung an ihn mitnehmen kann. Als Wegzehrung für weniger heitere Stunden.
    Mohamed Choukri öffnet. Ich habe Glück und er erinnert sich an mich. In der Zwischenzeit war er mindestens ein halbes tausend Mal betrunken und die Gefahr, irgendwann aus seinem Hirn zu verschwinden, weggeschwemmt von einem letzten Grappa, diese Gefahr besteht. Täglich, ab vier Uhr nachmittags.
    Er hat noch immer Flecken auf der Hose und noch immer stehen die zwei Betten in seiner Wohnung. Das breite für den Damenbesuch, das schmale zum Überleben: auf ihm schreibt er. Das Beste, was er darauf produziert hat, machte ihn berühmt. »Le pain nu«, das nackte Brot, ein Tatsachenbericht aus der Hölle seiner Jugend. Sein Vater, der Prügler und Mörder. Sein Hunger und die Brotrinden aus den Abfalltonnen. Sein einsames Geschlecht und die tierische Lust auf Schafe und Ziegen. Fünfzig Jahre später sind die Wunden verheilt. Nur die Narben schmerzen. Er behandelt sie jeden Tag von Neuem, beschreibt

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