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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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sie jeden Tag mit seinem dunkelschwarzen, ätzenden Humor.«
    Noch eine Erfahrung, die mit Sinn und Schreiben zu tun hat: Am Naropa Institute in Boulder, einer Kleinstadt in Colorado, der einzigen offiziell anerkannten buddhistischen Universität in den Vereinigten Staaten, werden auch sogenannte »Schreibkurse« angeboten. Ich wurde eingeladen, einen Abend lang (still) anwesend zu sein.
    So bin ich der Zuschauer einer Klasse von Studenten, die sich in Writing and Poetics eingeschrieben haben, fünf Frauen, ein Mann. Und ein Prof, der Finne Anselm Hollo, ein seit dreißig Jahren in den Staaten tätiger Schriftsteller. Er lehrt nebenbei an den Universitäten in Helsinki und Tübingen, hat sich (auch) einen Namen als Brecht-Übersetzer gemacht. Wir sitzen im Chestnut House , die intime Atmosphäre des kleinen Kastanienhauses entspannt. Meine erste Befürchtung, dass sie hier täglich einen hehren Literatur-Gottesdienst abfeiern, erfüllt sich nicht. Hollo ist launig und schlagfertig, die Jungen penetrant neugierig und schwer verliebt in die englische Sprache. Die Umgangsformen sind eher amerikanisch, sie lachen viel und als Terence furzt, lachen sie am lautesten.
    So mag einer von derlei Lehrgängen denken, was er will. Aber ich begreife während der zwei Stunden, in denen ich dem Amerikaner, den vier Amerikanerinnen und der Australierin zuhöre, dass sie auf geradezu unverschämte Weise privilegiert sind. Ein paar Jahre dürfen sie Worte ausprobieren, dürfen sich auf nichts anderes konzentrieren als auf den feudalen Luxus, das genau stimmige Wort zu finden. Konzentriert sich die Mehrheit der Studenten des Landes auf economic studies , um später einmal exakt ausrechnen zu können, wie viele Stoßdämpfer und Entsafter das Volk braucht, so reden sie hier über ihre mitgebrachten Gedichte, hören Vierteltöne, feilen an Nuancen, fürchten sich wohl alle vor dem herrischen Satz Mark Twains, der uns wissen ließ, dass der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort derselbe ist wie der zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.
    Trägheit
    Ich möchte jedem achtsamen Schreiber vorschlagen, eine black list anzulegen. Für all die Wörter, die nicht mehr vorkommen dürfen in seinem Wortschatz. Weil Faulpelze sie schon zu oft von anderen Faulpelzen abgeschrieben haben. Weil man nicht zur dreisten Mehrheit gehören will, der frech der Pawlowsche Speichel rinnt, wenn sie nach der nächstschlechtesten Wendung greift, um einen Text hinter sich zu bringen. Weil man Sprache liebt und wie ein Liebhaber die Liebe immer wieder überraschen will. Wie sagte es Roland Barthes: »Ekel stellt sich ein, wenn die Verbindung zweier wichtiger Wörter sich von selbst versteht.« Hier fünf Beispiele von fünftausend, um zu demonstrieren, was er meint:
    Das Wort »versagen« taucht auf. Und nichts zwischen Himmel und Erde kann den Skribenten davon abhalten, »kläglich versagen« zu schreiben. Vor versagen muss kläglich stehen. Was lernen wir daraus: Der Skribent ist ein kläglicher Versager.
    »Kleinarbeit« fällt dem Skribifax ein. Und was noch? Natürlich, wir brauchen gar nicht hinzusehen: Kleinarbeit ist – bis nach dem Jüngsten Tag – »mühevoll«: in mühevoller Kleinarbeit, ad infinitum absurdum!
    Joschka Fischer wurde einst Außenminister und ab sofort ist er millionenfach der – was wohl? – »frischgebackene Außenminister« (gegen frisch gebackene Missionare hätte ich nichts einzuwenden). Da mag ein neues Paläozoikum losbrechen, für den deutschen Durchschnittsskribbler wurde Fischer »frischgebacken«. Dass Fischer inzwischen seine Jeans abgelegt hatte und »feinsten Zwirn« trug, auch diese Plattitüde wurde den Lesern hunderttausendfach um die Ohren gehauen.
    Volkswagen brachte den modern gestylten Beetle heraus. Der Wagen war noch nicht einmal um das Werkgelände gebraust, da outeten ihn die fachkundigen Kritzler – unbremsbar, unkorrigierbar, unfehlbar banalissimo – als »Objekt der Begierde«. Alles, was irgendwie fähig ist, unsere Aufmerksamkeit für Sekunden zu strapazieren, ist ein – mir will sich die Zunge spalten – »Objekt der Begierde«.
    Äußert jemand eine Meinung, die nur Millimeter vom mainstream abweicht, dann hört unser Mann/unsere Frau der Feder einem zu, »der gegen den Strom schwimmt.« Wer so schreibt, wird nie verdächtig, stromaufwärts zu denken. Er gehört zum trägen Treibholz, das von keiner anderen Sehnsucht getrieben wird als von der, zum

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