Dies Herz, das dir gehoert
sieben – und er sitzt da in der fremden Wohnung und lauert auf sie! Er weiß doch nicht, was er tun soll, sie haben doch nichts verabredet für den Fall, dass sie nicht kommt. Wenn er nun weggeht, er ist doch halb krank, hat Fieber – vielleicht finden sie ihn irgendwo, stecken ihn in ein Krankenhaus, und er vergisst alles, vergisst sie, hält sie später für einen Fiebertraum!
Sieben!
Sieben, schlägt die Hallenuhr, sieben, sagt es in ihr. An manchen Ständen schließen sie schon, sie aber hat noch drei Kunden abzufertigen.
Endlich!
»Ich geh dann jetzt, Tante Gustchen! Ich heize schnell und mach uns ein paar Bratkartoffeln!«
»Du bleibst hier! Räumst mit auf! Du hast es ja mächtig eilig heute – dich ein bisschen mit ihm auf der Straße treffen, wie? Wo wartet er denn, Fräulein?«
Sie schweigt und räumt mit auf. Langsam beginnt auch sie, warm zu werden, ein gelinder Zorn gegen die Tante rührt sich.
Sie hat die Tante bisher nie als besonders bösartig empfunden, aber das lag vielleicht nur daran, dass sie nie etwas, das ihr am Herzen lag, gegen sie verteidigen musste. Die Tante war eine Respektsperson, darum hatte sie sich ihr in allen Dingen gefügt.
Aber heute findet sie die Tante bösartig, sie findet sie gehässig, schlecht, muckerisch ... Wären da nicht die Eltern daheim, sie würde einfach gehen und sagen: »Danke schön, Tante Gustchen, Feierabend!« Denn Angst hat sie nicht für sich. Sie weiß, sie kommt immer durch. Aber da sind die Eltern. Für die ist es eine Schande, wenn die Tochter der Vaterschwester fortläuft.
Sie räumen zusammen auf. Sie gehen gemeinsam.
Hanne Lark sieht tausend Schreckgespenster. Entweder ist er fort, oder er kommt beim Schließen der Tür aus ihrem Zimmer und steht direkt vor der Tante. Oder er ist sehr krank geworden und phantasiert. Er redet laut im Fieber, und die Tante steht auf dem Flur ...
Immer wieder fängt sie zu laufen an neben dem kleinen festen Schritt der Tante, der ihr unerträglich langsam dünkt, und immer wieder holt die Tante sie mit einem bösen Wort an ihre Seite zurück.
Und nun gehen sie noch nicht einmal nach Hause! Sie gehen zum Laden, sie holen den Onkel ab, da es doch einmal so spät geworden ist!
In dem großen Gemüse- und Obstladen, den der Onkel in der Landsberger Allee führt, während die Tante den Einkauf und den Hallenstand verwaltet, sitzt der Onkel im Schein einer funzligen Birne und rechnet noch in seinem Hauptbuch.
Onkel Oskar ist ein langer, dürrer, knochiger Mann, gelblich und schwärzlich, mit einem lächerlich kleinen, birnenförmigen Kopf, auch mit Brille und mit einer hellen, hohen Stirn. Im Allgemeinen ist er ganz nett zu Hanne Lark – soweit es die Tante zulässt, denn Onkel Oskar ist der Mann von Tante Auguste, nicht etwa sie seine Frau ...
»Nanu, wo kommt ihr denn her?«, fragt er, erstaunt hochfahrend. »Was ist denn nu kaputt?«
»Das wirst du gleich hören, Oskar«, sagt Tante Auguste.
Aber gottlob will sie den Onkel lieber erst unter vier Augen unterrichten, ein Familienpalaver im Laden wäre auch für die auf Kohlen stehende Hanne Lark zu viel gewesen.
Nach einigem Hin und Her brechen sie auf. Der Onkel hat bereits erfahren, dass es heute kein warmes Abendessen geben wird und dass auch der Ofen daheim nicht geheizt ist. Und da der Onkel den ganzen Tag in seinem kalten Gemüseladen friert und überhaupt frösteliger Natur ist, stimmt ihn die Aussicht auf die grabeskalte Wohnung, die Hanne verschuldet haben soll, recht düster.
»Du gehst voran, Hanne!«, befiehlt die Tante auf der Straße. »Aber nur zwei Schritte Abstand. Und dass du mir nicht lauschst!«
Warum Hanne nicht der Mitteilung ihrer offenbaren Schande lauschen soll, bleibt unklar, aber Hanne interessiert es auch nicht sehr, denn jetzt nähern sie sich endlich – dreiviertel acht zeigt die Uhr auf dem Bahnhof Alexanderplatz! – der Wohnung. Sie ist fest entschlossen, die Treppe trotz aller Verbote im Sturm zu nehmen. Sie hat den Türschlüssel schon fest in der Hand.
Und das tut sie auch.
Sie stürmt die Treppe hinauf, schließt auf, geht in die Wohnung. Der Vorplatz ist stockdunkel. Leise, ohne Licht zumachen, tritt sie in ihr Zimmer, zieht die Tür hinter sich zu. Vom Hof her fällt ein matter Lichtschein durch die Scheiben.
Aber sie braucht den nicht, sie hat – trotz ihres laut pochenden Herzens – schon den ruhigen, tiefen Schlafatem gehört. Gott sei Dank, er schläft! Er schläft noch immer! Er schläft sich
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