Dies Herz, das dir gehoert
Gesicht, Marie! Bleibst du hier eben mal eine Stunde allein.«
»Als wenn ich nicht immer allein bliebe, wenn ihr beisammen seid!«
»Lügnerin! Mach zu, Hannes!«
»Halt!«, rief Marie, »wenn ihr doch im Garten seid, könnt ihr auch gleich den Rasen schneiden! Der hat’s wieder nötig. – Doch nicht meine gute Zuschneideschere, Hannes!«, sagte sie unwillig. »Da, nimm dies Dings, das wird es auch tun. Viel Vergnügen übrigens!«
»Danke, danke! Komme auch noch hin, wenn du Zeit hast!«
»Und weißt so gut, dass ich keine Zeit habe! Und es ist euch ja so recht ...«
Der Garten
Aus der Tiefe des laut lärmenden Hauses tauchen sie mit ihren hoch gefüllten Tellern durch die Dachluke auf, und nun sind sie über Berlin, über der Lautheit, über dem Trubel, über der schwülen Hitze.
Der dunstige Sommerhimmel sieht von hier ein wenig klarer aus, direkt fallen die Sonnenstrahlen auf sie, ein leichter Wind erfrischt ihre glühenden Gesichter. Die Glaskuppel auf dem Warenhaus am Alexanderplatz schimmert herüber, nahe ist der hohe Turm vom roten Schloss. Sie stehen nebeneinander, ihre Teller in den Händen, und schauen, schauen hinaus.
»O Gott, wie groß das ist!«, sagt sie mit einem tiefen Aufatmen. »Wie es immer weitergeht, nicht aufzuhören scheint. Ich kriege immer wieder einen Schreck, wenn ich es so sehe ...«
»Ja«, sagt er, »wie riesig das ist, und wie wenig sind wir. Wie das wimmelt! In all diesen Häusern Hunderte von Menschen, in jedem einzelnen. In dem kleinen grauen Streifen dort hinten Tausende – und dann wir zwei allein ... es ist zum Angstwerden!«
»Ja«, sagt sie, »es ist schön, denn wir gehören auch dazu. Wir alle. Denke dir doch, Hannes, vielleicht stehen sie auf andern Dächern auch so wie wir hier, und für die andern gehören wir zu dem Gewimmel. Es ist ja nur durch uns! Wir alle sind einzeln und allein, aber dann sind wir alle zusammen doch eine Vaterstadt und« – sie deutet mit einer weiten Bewegung um sich – »dieses Reich.«
»Dir wird nicht angst?«
»Mich macht es froh und stolz. Weil wir so viel sind, und weil wir so stark sind, und weil wir wieder weiterkommen ...«
»Ja«, sagt er, »weil du dazugehörst.«
»Du doch auch! Du auch, Hannes!«
»Ich? Ja, vielleicht – durch dich.«
Sie setzen sich auf eine kleine Bank unter dem Schornstein, eine kleine bläuliche Rauchfahne steigt aus diesem Schornstein auf und weht wie eine fröhliche Fahne, von Sonne durchflutet, unablässig nach Osten.
Sie essen, die Teller auf den Knien, manchmal heben sie die Gesichter und sehen einander an.
»Schmeckt es?«
»Großartig! Ich hatte auch solchen Hunger!«
»Wird es auch genug sein?«
»Natürlich! Für den Augenblick! Zum Abendessen holen wir uns etwas besonders Schönes! Zur Feier des heutigen Tages!«
»Hundertundachtzig Mark und ein halb Prozent Tantieme! Du wirst mehr verdienen als ich, Hanne!«
»Ja, und das nächste Mal verdienst du wieder mehr! Wir werden noch reiche Leute!«
»Bloß das nicht!«
»Denkst du es dir so schlimm, reich zu sein?«
»Ich finde es so schön, wie es jetzt ist. Ich freu mich auf meinen neuen Anzug, über jedes Stück, das wir uns anschaffen können. Das habe ich nie gekannt.«
»Hast du das nie gekannt? Du warst also einmal reich.«
»Ich nicht, aber ... Komm, wir wollen nicht daran denken. Der Tag ist heute so schön. Wir wollen nach unserm Garten sehen.«
Willig, ohne eine weitere Frage steht Hanne Lark auf. Sie sehen nach »ihrem Garten«. Es sind nur ein paar Holzkisten und alte Kisten mit Wein und süßen Wicken, mit Vergissmeinnicht und Stiefmütterchen, die aussortierten Pflanzender Händler in der Markthalle, mit denen sie Laubenkolonisten Berlins versorgen. Es ist ein bisschen, oft wieder vom Wind zerstörte Gartenschönheit zwischen den rußgeschwärzten Schornsteinen. In einer großen alten Blechschüssel wächst der Rasen.
»Wahrhaftig, er ist schon wieder gewachsen. Nun mähen wir jetzt im Juli schon zum dritten Mal in diesem Jahr! Wir sind ein Muster für die Landwirtschaft!«
»Halt doch!«, sagt sie, als er schon arbeitsam die Schere zückt. »Willst du so darauflosmähen? Siehst du nicht die paar grünen Blättchen? Da herum musst du sorgfaltig mähen – das wird ein Gänseblümchen!«
»Was?«, ruft er unwillig. »Ich soll das stehenlassen? Das ist Unkraut, das muss weg!«
Und er lässt die Schere schnappen.
»Willst du wohl? Gänseblümchen sind kein Unkraut, sie sind Blumen, und Blumen werden nicht
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