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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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gänzlich unbegründet gewesen), worauf der Pfarrer eine Trennung sehr befürwortet hatte. Jetzt ging sie also mit einem Jungen aus, der eigentlich nur ein guter Freund war und mit dem sich bestimmt nichts Ernstes entwickeln würde. Laura kannte ihn sogar. Erinnerte sie sich an Sunny Kim? Wahrscheinlich nicht, aber er erinnerte sich an Laura und fragte immer nach ihr.
    Natürlich erinnerte Laura sich an Sunny und seine Familie. Mr. Kim war ein Ingenieur, dem es seit seiner Ankunft in Amerika sehr gut gegangen war. Mrs. Kim war Hausfrau und verließ das Haus nur selten. Griffin erinnerte sich an Sunny, das älteste der sechs Kinder, als einen wohlerzogenen Jungen, etwas zu ernst und erwachsen für sein Alter. Er durfte keinen Sport treiben oder in irgendwelche Vereine eintreten. Wenn die Schule aus war, stand Mrs. Kim stets mit einem Wagen voller wohlerzogener kleiner Kims da – die beiden jüngsten saßen noch in Kindersitzen. Vor Jahren hatten Joy und Kelseys Mutter sie gefragt, ob sie sich diesen Fahrdienst nicht mit ihnen teilen wolle – immerhin wohnten die drei Familien nicht weit voneinander entfernt. Das hatte Mrs. Kim aber abgelehnt und in holprigem, aber ernstem Englisch erklärt, diese Fahrten fielen in ihre Verantwortung, und ihr Mann würde es nicht billigen, wenn sie einen Teil davon abgebe. Sie war allerdings nicht unfreundlich, und wenn das Angebot für sie auch nicht infrage kam, so schien sie sich doch darüber zu freuen. Die Kims waren entschlossen, ihre Kinder als Koreaner aufzuziehen, fürchteten offenbar jeden amerikanischen Einfluss und glaubten anscheinend, die Kultur Südkaliforniens sei tief durchdrungen von Verdorbenheit und Dekadenz – was, wie man zugeben musste, bedeutete, dass sie nicht gerade dumm waren. Dass Sunny auch nicht mit Mädchen ausgehen durfte, erfüllte Laura mit schuldbewusster Freude, denn sie wusste, dass er in sie verliebt war.
    Es war interessant, dass Sunny sich später, als seine Eltern etwas lockerer geworden waren und ihm erlaubten, sich mit Mädchen zu treffen, für die Tochter einer der Frauen entschied, die einst so freundlich zu Mrs. Kim gewesen waren (oder war es seine Mutter gewesen, die sie ausgesucht hatte?). Laura hatte den Verdacht, dass er nur deswegen mit Kelsey ausging, weil er wusste, dass sie und Laura noch befreundet waren. Manchmal telefonierten die beiden eine halbe Stunde miteinander, und dann sagte Kelsey, kurz bevor sie auflegte: »Ach ja, Sunny lässt dich grüßen.« Daran merkte Laura, dass er die ganze Zeit da gewesen war und geduldig darauf gewartet hatte, dass sein Name genannt wurde, immer bestrebt, nicht ganz in Vergessenheit zu geraten. Als Kelsey an die Ostküste kam, um in Skidmore zu studieren, schrieb Sunny sich in Stanford ein, wo er ein Vollstipendium bekommen hatte. »Glaubst du, Sunny ist schwul?«, fragte Kelsey eines Tages ganz nebenbei, als sei ihr dieser Gedanke gerade erst gekommen. Das ganze letzte Jahr auf der High School waren sie miteinander ausgegangen, und er war zwar immer aufmerksam und zuvorkommend gewesen, hatte aber kein einziges Mal versucht, sie zu küssen. Nicht dass sie das unbedingt gewollt hätte, aber trotzdem. Und jetzt, in Stanford, hatte er offenbar keine Freundin.
    »Nein, Sunny ist nicht schwul«, sagte Laura.
    Aber arm, das war er in Stanford. Er hatte ein Stipendium, ja, aber auch zwei Teilzeitjobs. Sein Vater, ein typischer arbeitswütiger Asiate, war im Sommer ernstlich erkrankt und hatte operiert werden müssen. Danach war er zu schnell wieder an die Arbeit gegangen und abermals erkrankt, ein Muster, das sich während Sunnys Studienzeit ständig wiederholen sollte. »Ist es okay, wenn ich Sunny deine E-Mail-Adresse gebe?«, fragte Kelsey Laura eines Tages im Frühjahrssemester. Er schrieb Kelsey jede Woche, lange E-Mail-Briefe, die ihr ein schlechtes Gewissen machten, weil ihre eigenen so kurz waren. Sie löste das Problem, indem sie nur jeden zweiten oder dritten Brief beantwortete. Es sei ihr sehr recht, sagte sie zu Laura, jemanden zu haben, der ihr etwas von dieser Last abnähme. »Außerdem fragt er immer nach dir.«
    Laura sagte, natürlich sei das okay, aber aus irgendeinem Grund schrieb Sunny ihr nicht. Wahrscheinlich, dachte sie, war er noch immer so schüchtern wie damals auf der Middle School, wo er unbeholfen am Rand des Geschehens gestanden und sich nie so recht gezeigt hatte. Daher war sie es, die ihm nach ein paar Wochen schrieb und ihn fragte, wie es ihm gehe, wie das Studium

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