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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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amüsiert, auch als er ihnen erklärte, er wolle sich damit nur darüber lustig machen, wie seine Eltern jede einzelne Anzeige in dem fetten Immobilienkatalog für Cape Cod abqualifiziert hatten, und darauf bestand, sein Gebrauch dieser Kategorien sei rein ironisch. Tommy hatte ihm das einfach nicht geglaubt. »Erklär mir mal Ironie«, hatte er gesagt. »Ich bin zwar zur Schule gegangen, aber das Konzept der Ironie hab ich nie ganz kapiert. Und ironische Typen wie du verwirren mich besonders.«
    Die Bäume rechts und links der Straße verschwanden, und Griffin hörte die Brandung, wusste aber, wie irreführend dieses Geräusch sein konnte.
    In einem Sommer (vor den Brownings oder danach?) hatten seine Eltern ein Haus mit Balkon gemietet, von dem aus man jenseits der Dünen, gut fünfhundert Meter entfernt, das Meer sehen konnte. Jeden Abend schlief er in vollkommener Stille ein, nur um am nächsten Morgen das Donnern der Wellen direkt vor seinem Fenster zu hören, als hätte die nächtliche Flut die Dünen durchbrochen. Doch wenn er dann aufstand und zu seinem Vater auf den Balkon trat, war das Meer genau da, wo es immer gewesen war. Sein Vater erklärte ihm, der Wind habe in der Nacht gedreht und treibe das Geräusch jetzt zu ihnen hin anstatt von ihnen weg, und das leuchtete ihm ein, wie wissenschaftliche Erklärungen es immer tun – weil man weiß, dass sie einleuchten sollen. Am nächsten Morgen aber, als Griffin wieder das Donnern der Brandung hörte, schien diese Erklärung der sinnlichen Erfahrung nicht gerecht zu werden. Es war zu nah, zu laut, und abermals rechnete er damit, das Erdgeschoss überflutet zu finden. Nur die Wiederholung – Nacht für Nacht geschah dasselbe – minderte den Zauber und hob ihn schließlich auf.
    Doch es konnte tatsächlich nicht weit zum Strand sein. Er schmeckte das Salz in der Luft, und so dicht am Meer hatte der Nebel begonnen sich aufzulösen. Mit zusammengekniffenen Augen konnte er die sanfte Welle des Dünenkamms und dahinter ein blassgelbes Leuchten ausmachen, das ihm vorkam wie eine mit einem Stück Papier abgedeckte 40-Watt-Glühbirne, irgendwo dort, wo seiner Meinung nach der Horizont sein musste. Die Straße verlief eine Zeit lang parallel zum Strand und endete dann abrupt an einem großen, unasphaltierten Parkplatz. Dort stand ein einsamer Pick-up, vermutlich der eines unerschrockenen Anglers, der seiner Melancholie zu entkommen suchte.
    Ein verwitterter Holzsteg führte durch die Dünen. An seinem Ende angelangt, zog Griffin die Sandalen aus. Vor ihm ragte eine dunkle Masse auf – ein Haus oder ein Schiff, das vor Anker lag? –, doch er konnte erst erkennen, was es war, als er näher kam und die gespenstischen Umrisse sich als ein Restaurant mit einer breiten umlaufenden Veranda und einem aus dem Dach aufragenden Schiffsmast entpuppten. Die Hintertür stand weit offen, und er konnte hören, dass dort drinnen jemand hin und her ging. Vermutlich der Besitzer, der aufräumte, bevor die Angestellten kamen. Möglicherweise sogar ein Dieb. Wer immer es war – was würde Griffin tun, wenn der Mann ihn sah und fragte, was er da machte? Zur Erklärung die Urne hochhalten? Er eilte weiter, bevor es zu dieser Peinlichkeit kommen konnte.
    Beinahe sofort erkannte er, dass sein Plan einen schwerwiegenden Fehler hatte. Vom Steg aus hatte es ausgesehen, als würden sich die Wellen auf Kniehöhe brechen, doch jetzt stellte er fest, dass ihm das Wasser dort eher bis zum Bauch reichen würde. Hinter ihm war das Restaurant nur noch eine bleiche Silhouette im Nebel, und er wollte nicht weiter den Strand hinuntergehen. Immerhin markierte das Gebäude den Zugang zum Parkplatz, und wie sollte er seinen Wagen finden, wenn er es aus den Augen verlor? Ihm wurde bewusst, dass er auf eine Mole oder einen Pier gehofft hatte, auf irgendetwas, das ins Wasser ragte, sodass er darauf gehen und die Asche am äußersten Ende in das schäumende Meer rieseln lassen konnte. Hier gab es jedoch nichts dergleichen, und das hieß, dass er ins Wasser waten, die Urne eintauchen und die Asche vom Rückstrom der Wellen würde mitnehmen lassen müssen. Das wiederum erforderte Geschicklichkeit, gutes Timing und, wie er fürchtete, eine Portion Glück. Der Deckel der Urne war mit zwei billig wirkenden Blechklammern gesichert, die sich wahrscheinlich sofort öffnen würden, wenn er von einer großen Welle getroffen wurde, bevor er bereit war. Es war vernünftiger, am Spülsaum ein Loch zu graben, die Asche

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