Diese alte Sehnsucht Roman
hineinzuschütten und mit Sand zu bedecken. Wenn dann die Flut kam, würde die Asche von den Wellen mit Sand und Wasser verwirbelt, und so würde sein Vater endlich zu einem Teil des Staubs der Welt werden. Was war daran anders, als den Inhalt der Urne am Ende eines Piers oder über die Reling eines Bootes ins Wasser zu streuen?
Tja, es war eben anders. Außerdem stellte er bei näherem Hinsehen fest, dass die Flut bereits eingesetzt hatte und das Wasser womöglich gar nicht weiter steigen würde.
FRAU
Könnte es sein, dass du die Asche deines Vaters nicht verstreut hast, weil du ihn irgendwie brauchst?
MANN
( streng und kalt ) Ich ihn brauchen? Meinen Vater? Ich hab ihn nicht gebraucht, als er noch gelebt hat. Warum sollte ich ihn jetzt brauchen, wo er tot ist?
Er holte tief Luft, streifte die Sandalen ab, nahm seinen Vater in beide Hände und watete in die Brandung.
Als er vollkommen durchnässt nach Wellfleet zurückfuhr, sah Griffin, was auf der Herfahrt im Nebel verborgen gewesen war: In einem Halbkreis, genau wie er sie in Erinnerung hatte, standen die Ferienhäuser, in denen er und seine Eltern und die Brownings in jenem Sommer gewohnt hatten. Zunächst wusste er nicht, ob er seinen Augen trauen konnte. Dass er ausgerechnet jetzt zufällig auf diese Siedlung gestoßen war, erschien ihm mehr als unwahrscheinlich – als wäre die physische Welt mit einem Mal und auf geheimnisvolle Weise mit seinen seelischen Bedürfnissen verbunden. Da er an der Einfahrt vorbeigefahren war, hielt er auf dem Randstreifen an und setzte zurück. Das Knirschen der Reifen auf dem Kies war das einzige Geräusch in der Stille.
Vielleicht war es ja gar nicht derselbe Ort. Das Schild ( OFFSHORE COTTAGES – WÖCHENTLICH/MONATLICH ZU VERMIETEN ) kam ihm nicht bekannt vor, und in der Mitte des Halbkreises, wo früher der Spielplatz gewesen war, befand sich jetzt ein in den Boden eingelassener, von einem Maschendrahtzaun umgebener Swimmingpool. Dahinter waren ein Shuffleboardfeld und mehrere gemauerte Grillstellen mit schweren eisernen Rosten. Aber wäre es nicht seltsamer gewesen, wenn es nach mehr als vierzig Jahren keine sichtbaren Veränderungen gegeben hätte? Noch schwieriger mit seinen Erinnerungen zu vereinbaren war die Tatsache, dass man den Strand, der doch mindestens einen Kilometer entfernt war, bequem zu Fuß erreichen konnte. Hatte er Elemente des Sommers mit den Brownings mit anderen Urlauben vermischt? Vielleicht hatte er die Fußmärsche zum Strand erst als Erwachsener beim Schreiben hinzugefügt, und sie hatten sich nach und nach in Erinnerungen verwandelt.
Etwa die Hälfte der Häuser sah bewohnt aus. Sie waren identisch bis auf die Pastellfarben und die Namen: Meerbrise, Silbermöwe, Sturmflut, Jakobsmuschel. Erinnerte er sich tatsächlich daran, dass seine Eltern sich über diese kitschigen Namen lustig gemacht hatten, oder war das nur etwas, das ihnen ähnlich gesehen hätte? Es war erst halb acht, zu früh, um seine Mutter anzurufen und sie zu fragen. Außerdem hätte er es nicht erfahren, auch wenn er mit ihr gesprochen hätte.
Wenn dies die Ferienhäuser von damals waren, dann musste »Strandpirat« das sein, in dem sie gewohnt hatten: nach etwa zwei Dritteln des Wegs auf der rechten Seite des Halbkreises. Schräg gegenüber, jenseits des Pools, lag das Haus der Brownings. Die schlaflose Nacht steckte Griffin in den Knochen. Er stellte den Wählhebel der Automatik auf »Park«, schloss die Augen und wurde wieder zum zwölfjährigen Jungen auf dem Rücksitz des Wagens seiner Eltern. Mit einem Mal war die Erinnerung an ihre Ankunft damals wieder da, deutlicher und detaillierter als je zuvor: Seine Mutter und sein Vater starrten das Haus an, keiner machte Anstalten auszusteigen. Aus Erfahrung wusste er, dass sie das Haus mit der Beschreibung in der Broschüre verglichen, die die Handelskammer von Cape Cod ihnen im vergangenen Januar zugeschickt hatte. Aus charmant wurde winzig , aus rustikal wurde heruntergekommen , aus voll ausgestattet wurde möbliertes Dachgeschoss . Mit anderen Worten: beschissen.
»Gut«, sagte sein Vater schließlich mit falscher Fröhlichkeit, »immerhin gibt es eine Veranda.«
»Das da?«, sagte seine Mutter und zeigte mit dem Finger darauf. Die Bretter waren rissig und verzogen, es gab kein Geländer, und durch die Ritzen schoben sich die langen, spitzen, dunklen Halme irgendeines Unkrauts. »Das nennst du eine Veranda?«
»Na ja, da stehen ein Tisch und vier Stühle. Perfekt
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