Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
Vom Netzwerk:
verbergen, ja, dass er überhaupt etwas zu verbergen hatte, bedeutete letztlich, dass ihr Vater sich schämte. Und das war unerträglich.
    Sie legte den Kopf auf den Hocker bei seinen Füßen. Flüsterte: »Daddy.« Berührte ihn leicht. Er schnarchte weiter. »Wach auf«, beharrte sie. »Wach
auf
!« Aber er wachte nicht auf. Sie bemerkte die Pantoffeln, neben ihren Knien auf dem Teppich.
    So vorsichtig, wie sie konnte, und so leise wie möglich, schob sie den ersten Pantoffel auf den einen Fuß, wo er baumelte wie ein Schuh an einem Schuhspanner. Dann den zweiten. Wenigstens waren so die Flecken nicht mehr sichtbar.
    »Nein«, sagte er, kaum hörbar.
    Taiwo schoss hoch, in Panik, weg vom Fenster und vom Mondlicht in die Tiefe der Dunkelheit, wo sie, im Schutz des Schattens und mit geschlossenen Augen auf das große Geschimpfe wartete. Es kam nicht. Ihr Vater gab noch ein Geräusch von sich, ein feuchtes Tiefschlafgeräusch, murmelte wieder ein »Nein«, leise, dann Stille. Dann Schnarchen. Taiwo öffnete die Augen und ging ängstlich ein kleines bisschen näher zu ihm. Er saß jetzt aufrecht und redete im Schlaf.
    »Es war zu spät«, sagte er so klar und deutlich, als wüsste er, dass sie vor ihm stand und auf sein ernstes Gesicht starrte. Aber er lächelte nicht im Schlaf, wie Kehinde es an diesem Punkt getan hätte. Sein Kopf kippte wieder nach vorne.
    Sie rannte zur Treppe.
     
    All die Jahre danach, wenn Taiwo an ihren Vater denkt, wenn der Gedanke heimlich durch den Riss in der Mauer schlüpft – und das Bild von ihm, tot im Garten, mitkommt, die Sohlen, purpurviolett, nackt, für jeden sichtbar –, dann wird sie sich ohne jede Hoffnung fragen: »Wo waren seine Pantoffeln?«, und genau wie damals mit zwölf wird sie anfangen zu weinen.

Neun
    Wo sind seine Pantoffeln?
    Im Schlafzimmer.
    Er überlegt.
    Seine zweite Frau, Ama, schläft in dem Zimmer, die pflaumenbraunen Lippen leicht geöffnet, wodurch das üppig rosarote Innere sichtbar wird. Er möchte sie nicht wecken. Was für eine erstaunliche Veränderung. Abgesehen von seinen Solo-Auftritten für sich und den Kameramann, hat er diesen neuen, echten Wunsch, sich an seine Frau anzupassen. Es ist so, als wäre er ein anderer (freundlicherer) Mann in dieser Ehe, die nach Meinung dieser anderen Frau nicht seine zweite, sondern seine dritte ist. Diese andere Frau lügt natürlich, und sie beide wissen es; sie waren nie kurz davor zu heiraten (obwohl sie im selben Haus gelebt hat wie er. Er hat sich damals verzweifelt nach Wärme gesehnt, nach dem Gewicht eines Körpers, nach dem Duft von Parfüm, sogar von billigem Jean Naté. Die Sache war geplatzt, als sie ihr Versprechen, die Wohnung zu verlassen, nicht gehalten hat, an dem Morgen im Mai. Sie sollte gehen, damit sie Olu nicht begegnete, der endlich an seinem Geburtstag zu ihm kam und der sofort wieder abreiste, als er June sah). Bei Ama, die er heiratete, eine schlichte Dorfzeremonie, der die Mitglieder ihrer Großfamilie ungläubig und mit offenem Mund zuschauten, ist er auf eine Art zärtlich, wie er es bei Fola nie war. Nicht, dass er bei Fola grob und gefühllos gewesen wäre. Aber dies hier ist anders.
    Zum Beispiel.
    Wenn er laut wird und Ama zusammenzuckt, hört er auf zu schreien. Ohne Übergang. Wie ein Lichtschalter. Sie zuckt zusammen, er hört auf. Oder wenn sie an seinem Arbeitszimmer vorbeigeht und hustet, blickt er auf. Gleichgültig, was er tut, was er liest. Ama hustet, er hört auf. Seine Kinder haben das auch immer versucht, vor seinem Arbeitszimmer, sie wollten ihn testen, wollten seine Hingabe an die Arbeit gegen seine Hingabe an die Kinder abwägen. Da hatte er sein Sextett bereits in diesem großen Haus in Brookline untergebracht, das ein richtiger Palast war, auch wenn die Tür seines Arbeitszimmers, ein Original, nicht richtig schloss. Die Kinder lungerten dann draußen auf dem Flur vor der halb offenen Tür herum, kicherten leise, flüsterten laut, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und dann spähten sie ins Zimmer, weil sie sehen wollten, ob er von seiner Fachzeitschriften-Lektüre aufblickte. Was er natürlich nicht tat, weil er sie erziehen wollte. Es war ein Experiment mit logischen Schwächen. Er hätte es ihnen gesagt, wenn sie ihn gefragt hätten. Seine Hingabe an den Beruf verschaffte ihnen ein Dach über dem Kopf. Das war nicht vergleichbar, kein Wettbewerb, kein Entweder/Oder, nicht Job gegen Familie. Das war nur diese fadenscheinige amerikanische Logik,

Weitere Kostenlose Bücher