Diese eine Nacht mit dir
„Glaubst du wirklich, ich würde meine Tochter nur wegen irgendwelcher verrückten Erpresserpläne in so einer Umgebung aufwachsen lassen? Ich bin eine gute Mutter, und trotz unserer schwierigen finanziellen Lage fehlt es Lola an nichts. Sie ist gut genährt, gut versorgt und wird geliebt. Sie ist ein sehr glückliches und zufriedenes Kind.“
Draußen war der Himmel dunkel geworden. Der Nieselregen hatte sich in einen Wolkenbruch verwandelt. Aus der undichten Stelle in der Ecke tropfte es beharrlich. Und Rico fühlte, wie feucht die Luft in der Wohnung war.
Diese Frau blieb ihm ein Rätsel. Warum also hatte sie ihn finanziell nicht gerupft wie eine Weihnachtsgans, nachdem sie ihre Schwangerschaft bemerkte? Sie hatte doch gewusst, wer er war! Das alles machte einfach keinen Sinn!
„Wieso hast du mir nichts gesagt?“, fragte er erneut.
Gypsy biss sich auf die Lippen. Endlich sah sie ihn an. In ihren Augen konnte er die Angst erkennen. „Weil ich meine Tochter beschützen wollte.“
Verständnislos schüttelte Rico den Kopf. Normalerweise funktionierte sein Verstand hervorragend. Im Moment aber war sein Kopf wie leergefegt.
„Wovor, um Himmels willen, hast du Angst?“
„Vor dem hier“, war Gypsys schlichte Antwort.
„Aber wieso ziehst du deine jetzige Lage dem, was ich dir zu bieten habe, vor?“
Plötzlich konnte Rico sich vorstellen, wie alles hätte sein können. Zuerst hätte Gypsys Schwangerschaft ihm natürlich einen Schrecken eingejagt. Aber dann wäre alles so einfach gewesen. Gypsy hätte ihm nicht andauernd im Kopf herumgespukt. Sie wäre ja da gewesen, in seinem Bett. So lange, bis er ihrer überdrüssig geworden wäre. Bei dem Gedanken überkam ihn ein seltsames Gefühl. Als hätte er etwas verloren.
Und was Lola betraf, so hätten sie sich sicher arrangiert. Gleichzeitig wusste er, dass es ihn nicht glücklich machen würde, sich wegen des Kindes mit ihr zu arrangieren. Gypsy schuldete ihm etwas. Die ersten fünfzehn Lebensmonate seiner Tochter hatte er versäumt. Die Kleine betrachtete ihn wie einen Fremden, weil er ein Fremder für sie war .
Gypsy reckte entschlossen das Kinn vor. Rico beherrschte sich nur mühsam. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und ihre vollen Lippen geküsst. Alles drängte ihn dazu, dieses fein geschnittene Gesicht zu streicheln.
„Es gibt eine Menge Leute, die mit viel weniger überleben als ich. Geld ist nicht alles. Außerdem habe ich keine Lust, durch sämtliche Gerichtsinstanzen geschleppt und in den Boulevardzeitungen durchgehechelt zu werden. Ich habe mich damals entschieden, Lola zu bekommen. Deshalb bin ich heute auch allein für sie verantwortlich.“
Dazu wären Rico eine Menge Antworten eingefallen. Aber er verkniff sie sich lieber. Er spürte, dass hinter ihrer Ablehnung mehr steckte. Mehr, als sie ihm sagen wollte. Zuerst einmal musste er die beiden aus diesem gottverlassenen Viertel fortschaffen. Danach blieb immer noch genug Zeit, Fragen zu stellen.
5. KAPITEL
Gypsy hoffte, Rico würde sich mit ihrer Erklärung zufriedengeben. Das Gesicht, das er machte, gefiel ihr gar nicht. Er sah so entschlossen aus. Und Lola war auf einmal so still.
Sie blickte zu ihrer Tochter und sah, dass sie, den Daumen im Mund, Rico mit großen, aufmerksamen Augen ansah.
„Pack eure Sachen zusammen. Ihr kommt mit mir“, befahl Rico.
Gypsy fuhr herum. „Wie bitte?“
„Ich möchte, dass du das Nötige zusammenpackst.“ In seiner Stimme schwang eiserne Entschlossenheit mit. „Wir gehen. Und zwar jetzt gleich.“
Verzweifelt schüttelte Gypsy den Kopf. Die Aussicht, diese entsetzliche Wohnung zu verlassen, war verlockend. Mit jedem wäre sie gegangen. Aber nicht mit ihm.
„Ich gehe nirgendwo mit dir hin. Wir gehen nirgendwo mit dir hin.“
Rico verschränkte die Arme. „Warum? Musst du später noch arbeiten gehen?“ Er schnippte mit den Fingern, als würde er sich an etwas erinnern. „Aber nein, du hast ja gestern Abend deinen Job hingeworfen. Nicht gerade sehr verantwortungsvoll von einer alleinerziehenden Mutter.“
Gypsy wurde blass.
„Wer hat gestern Abend eigentlich auf Lola aufgepasst?“, fragte er plötzlich.
Was sollte dieser herrische Ton? „Mrs Murphy. Sie wohnt ein paar Häuser weiter. Sie ist eine pensionierte Kindergärtnerin und passt abends auf Lola auf. Ich gebe ihr etwas dafür.“
Rico schäumte. „In dieser lausigen Gegend lässt du meine Tochter abends bei einer Fremden?“
„Sie ist keine Fremde“, fauchte
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