Diese eine Nacht mit dir
Gypsy zurück. „Und Lola ist bei ihr bestens aufgehoben.“ Hätte sie die Wahl gehabt, sie hätte Lola nie bei jemand anderem zurückgelassen. „Außerdem kommt Mrs Murphy hierher, um sie zu hüten“, fügte sie schnell hinzu.
„So oder so, das spielt alles keine Rolle mehr“, sagte er mit einer heftigen Handbewegung. „In dieser Straße wimmelt es nur so von Banden und Drogendealern. Ich will euch keine Nacht länger hierhaben.“
Für Gypsy wurden ihre schlimmsten Ängste wahr. „Du kannst nicht einfach hier erscheinen und unser Leben auf den Kopf stellen“, widersprach sie zitternd.
„Ach nein?“, schnaubte Rico. „Vielleicht, weil du hier so eine entzückende Wohnung hast? Nicht einmal einen Hund würde man hier großziehen, geschweige denn ein Kind. Ihr kommt jetzt mit mir und übernachtet bei mir zu Hause.“
In dem Moment griff Lola nach Gypsys Gesicht. Sie konnte fühlen, wie kalt ihre kleinen Hände waren. Schuldbewusst senkte sie den Kopf. Die Speicherheizung war immer noch nicht angesprungen. Und selbst wenn, sie verbreitete sowieso keine große Wärme. Aber ohne die Zusatzheizung würde es noch viel kälter sein als sonst. Es war eisig, es war feucht, und die undichte Stelle an der Decke war nicht zu übersehen. Dabei hatte Lola gerade erst eine schlimme Erkältung überstanden.
Rico Christofides hätte sich wirklich keinen schlimmeren Moment für ein Wiedersehen aussuchen können. Oder keinen besseren, dachte Gypsy bitter.
„Was ist los mit ihr?“, fragte Rico scharf und betrachtete Lola, die auf Gypsys Arm immer schwerer wurde.
„Sie ist müde“, erwiderte Gypsy erschöpft. „Letzte Nacht hat sie nicht gut geschlafen. Und im Buggy hat sie nur ein kurzes Nickerchen gehalten.“
„Wenn es sein muss, trage ich selbst euch beide hier raus“, sagte Rico entschlossen. „Glaub mir, ich mache keinen Spaß. Wir müssen miteinander reden. Das schuldest du mir. Und ich weigere mich, hier noch länger zu bleiben.“
Beschämt stellte Gypsy fest, dass sie dabei war, den Kampf zu verlieren. Sie konnte ihm nicht mit gutem Gewissen verweigern, wenigstens einmal über alles zu reden. „Und wo willst du uns hinbringen?“
„In meine Stadtwohnung. Sie ist wesentlich komfortabler. Ich habe eine Haushälterin. Sie kann auf Lola aufpassen, während wir uns unterhalten.“ Gypsy hatte das Gefühl, als würde sie von einem Wasserfall mitgerissen. Schließlich gab sie nach. „Einverstanden. Wir kommen mit.“
Und dann ging alles ganz schnell. Gypsy setzte die schläfrige Lola in ihren Buggy und packte rasch eine Tasche mit dem Nötigsten zusammen. Rico hatte bereits seinen Mantel an und wartete. Er fragte, ob sie einen Kindersitz brauche, und Gypsy erklärte ihm, dass der Sitz des Buggys auch als Kindersitz in einem Auto funktionierte. Danach telefonierte Rico und bellte auf Griechisch Befehle in sein Handy. Auf einmal hatte er so gar nichts mehr mit dem verführerischen Mann gemein, mit dem sie damals in der Disco getanzt hatte. Und trotzdem übte er noch die gleiche Anziehungskraft auf sie aus.
Energisch schob sie ihre Erinnerungen beiseite. Die Hände voller Taschen, warf sie einen Blick auf Lolas Kinderwagen.
Bevor sie noch etwas sagen konnte, ging Rico zu Lola und entschied: „Ich nehme sie. Du schließt die Tür ab.“
Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. Als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, montierte er den Sitz vom Gestell des Buggys und hob ihn samt Lola mit beneidenswerter Leichtigkeit hoch. Für Gypsy war der Anblick schwer zu ertragen. Am liebsten hätte sie ihm Lola wieder entrissen. Ihr war zum Heulen zumute. Aber sie unterdrückte ihre Tränen. Nur keine Schwäche zeigen. Das war das Letzte, was sie sich jetzt leisten konnte.
Nachdem Wohnungs- und Haustür abgeschlossen waren, lief Gypsy als Erste durch den strömenden Regen zum Wagen. Dabei hielt ihr der aufmerksame Chauffeur den Regenschirm. Bevor er ihr in den Wagen half, verstaute er noch die Tüten im Kofferraum. Als sie Platz genommen hatte, kam Rico. Er schützte Lola mit seinem Mantel vor dem Regen und reichte sie dann Gypsy, die sorgfältig den Sicherheitsgurt um den Sitz schloss. Lola hatte nichts vom Regen abbekommen und nuckelte zufrieden an ihrem Daumen.
Der Wagen rollte an. „Der Buggy!“, rief Gypsy erschrocken.
Rico war gerade damit beschäftigt, ihren Gurt zu kontrollieren. Seine Nähe machte Gypsy nervös. Sie spürte seine Hand an ihrem Schenkel und hätte sie am liebsten
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