Diese eine Nacht mit dir
Versprechen, bald mit Tee und Sandwichs zurückzukommen, ließ die Haushälterin sie allein. Gypsy kümmerte sich hastig um Lola und mied jeden Blickkontakt mit Rico.
„Ist das normal, dass sie so müde ist?“, fragte er auf einmal.
Gypsy richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Frage gab ihr sofort das Gefühl, sich verteidigen zu müssen. „Sie muss nur etwas Schlaf nachholen. Sonst schläft sie immer am Nachmittag.“
„Woher soll ich das wissen?“, meinte Rico mit steinerner Miene.
In Gypsy regte sich ihr schlechtes Gewissen. Schweigend beobachtete sie, wie er mit ein paar energischen Bewegungen den Mantel auszog und über einen Stuhl warf. Unruhig ging er auf und ab. Gypsy sah sich in dem Raum um. Deckenhohe Fenster boten einen weiten Blick über London. Trotz des schlechten Wetters war es ein hinreißender Anblick, wie sich die Silhouette der Stadt gegen die dunklen Wolken abhob.
Gypsy drehte sich entschlossen zu Rico um. „Wir können hier nicht lange bleiben. Die Wohnung ist für ein Kleinkind absolut ungeeignet.“ Sie deutete auf einen niedrigen Glastisch. „Überall sind scharfe Ecken und Kanten. Sie wird sich verletzen.“
Die Hände in den Taschen, musterte Rico sie mit zusammengekniffenen Augen. Gypsy spürte, wie sie rot wurde. Gerne hätte sie ein paar ihrer vielen Kleidungsstücke abgelegt, so heiß war ihr auf einmal.
„Ich sorge dafür, dass diese Wohnung innerhalb von vierundzwanzig Stunden kindersicher ist. Du musst dir schon etwas Besseres einfallen lassen, um mich abzuschrecken.“
„Was haben diese Männer geliefert?“, fragte Gypsy misstrauisch.
„Einen Kinderwagen, Kinderbett, einen Wickeltisch …“, zählte Rico an den Fingern ab. „Ich gab meinem Assistenten den Auftrag, alles Notwendige zu besorgen. Du kannst mir sagen, was noch fehlt.“
„Aber … ich bin nur gekommen, um mit dir zu reden“, erwiderte Gypsy fassungslos. „Nur für heute Abend … Morgen gehen wir wieder nach Hause. Ich muss mir eine Arbeit suchen. Und Lola braucht ihren normalen Tagesablauf.“
Als Rico auf sie zutrat, war Gypsy nahe daran, Lola zu packen und einfach davonzulaufen. Das war der Moment, den sie gefürchtet hatte. Rico stand vor ihr und sah sie wild entschlossen an.
„Das Kind ist meine Tochter. Über ein Jahr ihres Lebens habe ich nicht miterlebt. Ich habe nicht gesehen, wie sie wuchs und sich entwickelte. Sie kennt keinen Vater. Und es zählt nicht, dass sie noch zu klein ist, um zu wissen, was ihr da Wichtiges fehlt. Ich weiß es. Eins sage ich dir, Gypsy Butler: Vom heutigen Tag an habe ich meinen Platz in ihrem und auch in deinem Leben. Was dich betrifft, du hast keine Arbeit und lebst in einer Bruchbude – du bist gar nicht in der Position, dich meinen Wünschen zu widersetzen.“
Seine Worte jagten ihr Angst ein. Aber wenigstens wusste sie jetzt, woran sie war. „Willst du mir drohen, Rico?“, fragte sie. „Willst du damit andeuten, dass du mich deine ganze Macht spüren lässt, wenn ich Lola nehme und gehe?“
Ein Wangenmuskel zuckte in Ricos Gesicht. Seine Augen waren so dunkel, dass sie fast schwarz erschienen. „Genau das will ich damit sagen“, erwiderte er mit eisiger Ruhe. „Du kannst gehen, wenn du willst. Aber allein.“ Er lächelte boshaft. „Wenn ich bedenke, welche Mühe du dir gegeben hast, Lola von mir fernzuhalten … und nur, weil du sie für dich allein haben wolltest. Nein, ich glaube nicht, dass du gehen wirst.“
Der Schlag saß. „Du hast recht“, stieß sie wütend hervor. „Ich denke nicht im Traum daran, Lola hier zurückzulassen. Und was meine Situation betrifft – ja, ich bin schwach und sicher nicht in der Lage, gegen dich anzukämpfen. Aber ich bin nicht so dumm und provoziere deinen Zorn. Männer wie dich kenne ich nur zu gut. Ich weiß, wie ihr handelt. Ihr habt keine Hemmungen, den Gegner so lange in die Enge zu treiben, bis ihr habt, was ihr wollt. Für den Moment beuge ich mich deinem Wunsch. Aber glaub mir, sobald du den Alltag mit einem Kleinkind kennengelernt hast, wirst du froh sein, wenn du uns wieder los bist. Was mich betrifft, ich kann es gar nicht erwarten, bis es so weit ist.“
Gypsy schwieg schwer atmend. Rico betrachtete sie schweigend. Sie ärgerte sich, dass sie zu viel geredet hatte. Sollte er ruhig den Vater spielen. Irgendwann würde ihm die Rolle ganz bestimmt langweilig werden. Wo doch eine rothaarige Schönheit auf ihn wartete. Bei der Vorstellung, dass er mit dieser Frau
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